Die Ernaehrungsfalle
Europäischen Union werden jährlich 170 000 Tonnen industriell hergestellte Aromen verbraucht. Hinzu kommt der sogenannte »Geschmacksverstärker« →Glutamat - Verbrauch europaweit 95 000 Tonnen. Mehr als die Hälfte dessen, was die Menschen in Deutschland verzehren, ist künstlich aromatisiert. Die Verzehrmengen in Europa differieren dabei stark: In Italien werden nur knapp 7500 Tonnen pro Jahr verbraucht, in Deutschland etwa 39 000 Tonnen, in Frankreich 40 000 Tonnen. Spitzenreiter, bezogen auf die Bevölkerungszahl, sind die Briten und die Holländer.
Die Nahrungsindustrie arbeitet mit zahlreichen Chemikalien, die Geschmack vortäuschen können: Insgesamt listet das Aromastoffregister der Europäischen Kommission 2748 verschiedene Aromastoffe auf, die in Lebensmitteln zur Anwendung kommen. Ob →Hühnersuppe, Apfelstrudel oder Himbeersorbet - für das typische Aroma eines Lebensmittels sorgen verschiedenste Substanzen, die an den Rezeptoren der Nervenzellen tief in der Nase oder an den Geschmacksrezeptoren der Zunge andocken. Die sogenannten aromawirksamen chemischen Substanzen sind dabei nur in kaum messbaren Mengen vorhanden. Das 2-Acetyl-1-Pyrrolin, das für den Geschmack der Weißbrotkruste verantwortlich ist, wirkt schon in einer Dosis von 70 Millionstel Gramm pro Kilo. Und Menthenthiol löst mit nur 0,2 Milliardstel (0,0000000002) Gramm pro Liter den Geschmackseindruck von frischem Grapefruitsaft aus. Direkte gesundheitliche Effekte sind daher in den allermeisten Fällen nicht nachweisbar. Die Problematik liegt eher in dem Täuschungscharakter der Aromen, die etwas vorspiegeln, was nicht oder kaum vorhanden ist, etwa Huhn in einer Hühnersuppe (→Geschmacksfälschung).
Für die Nahrungsindustrie haben die Aromen zweifellos Vorteile: Die Dinge werden billiger. Ein Kilo Vanillepulver aus der echten Pflanze kostet etwa 2000 Euro, eine gleich wirksame Menge synthetischen Vanillegeschmacks nur zehn Euro. Natürliche Aromen sind Extrakte und Destillate pflanzlichen oder tierischen Ursprungs, aber auch Geschmacksstoffe, die mit physikalischen oder mikrobiologischen Methoden aus Stoffen natürlichen Ursprungs gewonnen worden sind. Die Kennzeichnung als »natürliches Aroma« bedeutet dabei nicht zwingend, dass der natürliche Rohstoff des Aromas identisch mit dem Naturprodukt im Lebensmittel ist. So kann etwa der Ursprung eines Erdbeeraromas auch im Holz eines Baumes liegen. Bei den sogenannten →naturidentische Aromen kommen Substanzen zum Einsatz, die zwar künstlich hergestellt, aber chemisch identisch mit Stoffen sind, die es auch in der Natur gibt: in einem Misthaufen, einem Gesteinsbrocken, Pferdehufen. Die vollkommen künstlichen Aromen haben gar keine Entsprechung in der Natur. Natürliche und naturidentische Aromastoffe dürfen in Europa ohne Zulassung eingesetzt werden. Künstliche Aromastoffe unterliegen einer Zulassungspflicht; sie dürfen nur in bestimmten Lebensmittelgruppen zur Anwendung kommen, werden aber kaum eingesetzt.
Dass Erdbeeraroma aus Sägespänen als »natürliches« Aroma bezeichnet werden darf, geht auf eine Bestimmung des →Codex Alimentarius zurück, des weltweit wichtigsten Gremiums, das die Regeln für Lebensmittel festlegt. Im Anhang 1 zum Codex Alimentarius Band XIV heißt es unter der Überschrift »Allgemeine Anforderungen an natürliche Aromastoffe«: »Natürliche Aromen oder natürliche Aromastoffe« seien Substanzen, die auf »physikalischem, mikrobiologischem oder enzymatischem« Wege aus Materialien »pflanzlichen oder tierischen Ursprungs« gewonnen werden. Dank solcher Bestimmungen ist es auch möglich, für Vegetarier eine ganze Reihe von »natürlichen« Geschmacksmischungen anzubieten, die völlig ohne tierische Zutaten auskommen, gleichwohl aber das Tier im Namen führen dürfen: »natürliches Aroma Typ Suppenhuhn« etwa, »natürliches Aroma Typ
gebratenes Huhn« oder, für die Filet-Freunde unter den Fleischgegnern, »natürliches Aroma Typ Lende«.
In den USA sind die Ursprünge des Geschmacks eher zu erkennen: Die Bezeichnungen geben dort die Geschmacksquelle genauer an. WONF-Aromen sind jene, bei denen beispielsweise Sägespäne zu Erdbeergeschmack werden; WONF heißt: »With other natural flavours«, mit anderen natürlichen Aromen. FTNF-Aromen hingegen sind jene, bei denen tatsächlich die Erdbeere für den Erdbeergeschmack verantwortlich ist und ein Pfirsich fürs Pfirsicharoma: »From the named fruit«, von der namengebenden Frucht.
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