Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman
»Kafir«, sagte er, »hilf mir, die Adresse des Lagers zu finden. Ich versinke hier in einem Meer von Tabellen.«
Es dauerte etwa dreißig Sekunden, bis Colin die Adresse des Lagers in Memphis gefunden hatte. Er fand sie im Briefkopf eines Geschäftsbriefes, der an Gutshot Textiles Inc. adressiert war.
Hassan rief: »MapQuest 2246 Trial Boulevard, Memphis, Tennessee 37501«, und Lindsey Lee Wells rief zurück: »Spitze! Gute Arbeit, Hassan!«
»Genau genommen war es meine Arbeit«, bemerkte Colin.
»Überlass mir die Lorbeeren. Ist ne harte Zeit«, sagte Hassan und sank theatralisch auf die Couch zurück. »Hey, was sagst du dazu, Singleton? Du bist der Einzige hier im Haus, der nicht in der vergangenen Woche sitzen gelassen wurde.«
Es stimmte. Doch Hassan schien ziemlich schnell über Katrina wegzukommen, und Lindsey war vorhin singend in Colins Zimmer geplatzt, und deshalb fand Colin, dass er immer noch Anspruch auf den Titel »Der Sitzengelassene mit dem am schlimmsten gebrochenen Herzen« hatte, selbst wenn er zugeben musste, dass er K-19 im Moment nicht unbedingt zurückhaben wollte. Er wollte, dass sie anrief; er wollte, dass sie ihn vermisste; aber abgesehen davon ging es ihm einigermaßen gut. Er hatte das Single-Leben noch nie so interessant gefunden.
Hassan rief »Fahrer«, und Lindsey rief »Beifahrer«, und Colin musste, obwohl es sein Wagen war, mit dem Rücksitz vorlieb nehmen, wo er ans Fenster rutschte und sein Buch herausholte: Seymour wird vorgestell t von J.D. Salinger. Als er fertig war, tauchte vor ihnen die Skyline von Memphis auf. Es war zwar nicht Chicago, doch Colin merkte, dass er Wolkenkratzer vermisst hatte.
Sie fuhren durch die Innenstadt, dann bogen sie in eine Seitenstraße und kreuzten durch ein Industriegebiet, das aus niedrigen Gebäuden mit wenig Fenstern und noch weniger Hinweisen auf das, was darin war, bestand. Ein paar Querstraßen weiter zeigte Lindsey auf eine Halle, und Hassan blieb auf einem der vier Parkplätze vor der Halle stehen, die alle frei waren.
»Bist du dir sicher, dass es das ist?«
»Das ist die Adresse, die ihr mir gegeben habt«, antwortete Lindsey.
Sie betraten ein kleines Büro mit einem Empfangstisch, wo sie keiner empfing, und so verließen sie das Büro wieder und gingen um die Lagerhalle herum nach hinten.
Es war ein heißer Tag, aber der Wind machte die Hitze erträglich. Irgendwo hörte Colin ein Rumpeln, und als er sich umsah, entdeckte er auf einem brachliegenden Feld hinter der Halle einen Bagger. Die einzigen Menschen weit und breit waren der Baggerfahrer und sein Kollege, der mit einem Gabelstapler hinter ihm herfuhr. Der Gabelstapler hatte drei riesige Kisten geladen. Colin runzelte die Stirn.
»Seht ihr Hollis irgendwo?«, flüsterte Lindsey.
»Nein.«
»Geh und frag die Typen, ob sie schon mal von Gutshot Textiles gehört haben«, sagte Lindsey. Colin war nicht sonderlich scharf darauf, einen Fremden auf einem Gabelstapler anzusprechen, doch er machte sich schweigend auf den Weg hinaus auf das Feld.
Der Bagger hob eine letzte Schaufel Erde aus, dann tuckerte er zur Seite, um den Gabelstapler vorzulassen. Und während der Gabelstapler an das Loch heranfuhr, kam auch Colin näher. Er war nur noch einen Steinwurf 82 von der Grube entfernt, als der Gabelstapler stehen blieb. Der Fahrer stieg ab, packte die oberste Kiste und stieß sie in das Loch, wo sie mit einem dumpfen Schlag landete. Colin kam näher.
»Hallo«, sagte der Fahrer, ein kleiner, schwarzer Mann mit weißen Schläfen.
»Hallo«, sagte Colin. »Arbeiten Sie für Gutshot Textiles?«
»Jep.«
»Was werfen Sie da in das Loch?«
»Schätze, das geht dich nichts an, weil das Loch ja nicht dir gehört, oder?«
Colin fiel keine Antwort ein – das Loch gehörte wirklich nicht ihm. Der Wind hatte aufgefrischt, blies über das trockene Feld und wirbelte eine Staubwolke auf. Als Colin der Staubwolke den Rücken zukehrte, sah er, wie Hassan und Lindsey mit strammen Schritten auf ihn zukamen. Hinter sich hörte er das Krachen der nächsten Kiste, doch er drehte sich nicht um. Er wollte keinen Staub in die Augen bekommen.
Dann drehte er sich doch um, denn inzwischen war es nicht mehr nur Staub, der durch die Luft flog. Die zweite Kiste war aufgeplatzt. Tausende von fein geflochtenen Tamponschnüren wallten durch die Luft. In einer großen, wirbelnden Wolke schwebten sie an ihm vorbei und flogen über Hassan und Lindsey hinweg. Er legte den Kopf in den Nacken und sah
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