Die erste Nacht - Roman
Sie, was die Festplatte enthält. Vielleicht finden wir ja etwas, das uns zu dem Fragment führt.«
»Die Festplatte ist leer, ich sehe nur ein Kommunikationsprogramm. Dieser Computer scheint ausschließlich Videokonferenzen gedient zu haben. Am oberen Rand des Bildschirms befindet sich eine kleine Kamera.«
»Nein, das ist unmöglich, suchen Sie weiter. Ich bin mir sicher, dass sich der Schlüssel zu dem Rätsel hier befindet.«
»Tut mir leid, Ihnen widersprechen zu müssen, aber hier ist nichts, keine Daten!«
»Gehen Sie zurück zum Stammverzeichnis und geben Sie die Widmung ein: Ich weiß, dass Ihnen dieses Werk gefallen wird, es fehlt nichts, alles ist enthalten, sogar der Beweis für unsere Freundschaft. Ihr ergebener Schachpartner, Vackeers.
Auf dem Bildschirm erschien »Befehl unbekannt«.
»Irgendwas stimmt hier nicht«, sagte Keira. »Schauen Sie, die Festplatte ist leer, und trotzdem ist der Speicher zur Hälfte voll. Ein Teil ist verborgen. Fällt Ihnen vielleicht noch ein anderes Passwort ein?«
»Nein, leider nicht«, erwiderte Ivory.
Keira sah den alten Professor an, beugte sich wieder über die Tastatur und tippte »Ivory«. Ein neues Fenster öffnete sich auf dem Bildschirm.
»Ich glaube, ich habe den Freundschaftsbeweis gefunden, von dem Sie eben gesprochen haben, aber jetzt fehlt uns noch der Code.«
»Ich kenne ihn nicht«, sagte Ivory.
»Überlegen Sie, Ivory. Denken Sie an etwas, das Sie beide verbindet.«
»Das ist ganz schwer, denn es gab so vieles, das wir gemeinsam hatten. Wie soll man bei all diesen Erinnerungen eine Auswahl treffen? Ich weiß nicht, geben Sie ›Schach‹ ein.«
Und wieder erschien »Befehl unbekannt« auf dem Bildschirm.
»Versuchen Sie’s noch einmal«, sagte Keira. »Denken Sie an etwas Subtileres, etwas, auf das nur Sie beide kommen konnten.«
Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, begann Ivory im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Es gab da diese Partie, die wir wohl hundertmal gespielt haben …«
»Welche Partie?«, fragte ich.
»Ein Duell mit zwei großen Spielern im achtzehnten Jahrhundert. François André Danican Philidor gegen Captain Smith. Philidor war ein großer Schachmeister, vermutlich der größte seiner Zeit. Er veröffentlichte eine Analyse des Schachspiels , das lange eine herausragende Stellung in der Schachliteratur eingenommen hat. Tippen Sie seinen Namen ein.«
Der Zugang zu Vackeers Computer blieb weiter versperrt.
»Erzählen Sie mir etwas von diesem Danican Philidor«, bat Keira.
»Bevor er sich in England niederließ«, fuhr Ivory fort, »spielte er in Frankreich im Café de la Régence, dem Ort, an dem man die wichtigsten Schachspieler antraf.«
Keira gab »Régence« und »Café de la Régence« ein … wieder nichts.
»Er war Schüler von Monsieur de Kermeur.«
Keira tippte »Kermeur«, ohne Erfolg.
»Bekannt wurde Philidor, als er den Syrer Philippe Stamma schlug, nein, warten Sie, endgültige Berühmtheit erlangte er, als er bei einem Turnier an drei Brettern gegen drei verschiedene Gegner Blindschach spielte und alle Partien gewann. Dieses Ereignis fand in einem Schachklub in der Londoner St. James’s Street statt.«
Keira tippte »St. James’s Street«. Ohne Ergebnis.
»Vielleicht verfolgen wir die falsche Spur und sollten uns mehr mit diesem Captain Smith beschäftigen. Oder, ich weiß nicht … Welches sind Geburts- und Sterbedatum von Ihrem Philidor?«
»Da bin ich mir nicht sicher, nur die Karriere der Schachspieler hat Vackeers und mich interessiert.«
»Wann genau fand diese Partie zwischen Captain Smith und seinem Partner Philidor statt?«, fragte ich.
»Am 13. März 1790.«
Keira tippte die Ziffernfolge »13031790«.
Wir trauten unseren Augen nicht. Eine alte Himmelskarte erschien auf dem Bildschirm. Nach der Genauigkeit zu urteilen, die ich darauf sah, musste sie aus dem siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert stammen.
»Das ist ja unglaublich!«, rief Ivory.
»Das ist ein großartiger Kupferstich«, meinte Keira, »aber er zeigt uns immer noch nicht, wo sich das Gesuchte befindet.«
Der Mann im dunklen Anzug hob den Kopf.
»Das ist die Himmelskarte aus dem großen Saal im Erdgeschoss des Palastes«, sagte er und näherte sich dem Bildschirm. »Bis auf wenige Einzelheiten stimmt sie genau mit dieser überein.«
»Sind Sie sicher?«, fragte ich.
»Ich bin gewiss schon tausendmal darübergelaufen, immerhin stehe ich seit zehn Jahren im Dienst von Herr Vackeers, und wir trafen uns immer
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