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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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abschreiben und sandte ein solches Blatt oder Heft bald dem, bald jenem von seinen Freunden zum Geschenk, stets
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    mit einer schmeichelhaften oder witzigen Widmung versehen. Diese kostbaren
    Pergamente gingen zunächst an den Bischofssitzen und Höfen von Hand zu
    Hand, wurden nacherzählt und wieder und wieder abgeschrieben und fanden
    ihren Weg in stille, entlegene Kastelle, in Reisewagen und Schiffe, in Klöster und Pfarrhöfe, in Malerwerkstätten und Bauhütten.
    Nun war es allerdings schon einige Jahre her, seit die letzte galante Novelle von seinem Pult ins Weite gegangen war, und es gab schon in mehreren Städten Buchdrucker, die gleich den Wölfen auf seinen Tod warteten, um dann sogleich Sammlungen der Novellen zu veranstalten. Herr Piero war alt geworden, und
    das Schreiben war ihm entleidet. Auch hatte mit dem Altwerden sein Gemüt
    sich nach und nach von den galanten und witzigen Stoffen abgewandt und
    neigte zwar nicht zur Askese, aber doch zu einem tieferen, nachdenklichen
    Betrachten des Ganzen und Einzelnen. Ein glückliches und ausgefülltes Leben
    hatte bisher seinen Verstand durchaus mit Wirklichkeit gesättigt und vom
    Grübeln ferngehalten; nun kam gelegentlich eine Stunde, da er statt der kleinen bunten Welt des Zeitlichen die großen Räume des Ewigen ins Auge faßte und
    über das seltsam und unlöslich ins Unendliche verflochtene Endliche in stille Bewunderung versank. Heiter und freimütig wie sein früheres Denken waren
    auch diese Betrachtungen; er fühlte ohne Klagen seine Ruhezeit gekommen
    und den Herbst angebrochen, da die reife Frucht ihres Strebens satt wird und sich, müde werdend, der mütterlichen Erde zuneigt.
    So blickte er vom Buche hinweg sinnend und genießend in die heitere Som-
    merlandschaft. Er sah Bauern im Felde arbeiten, angeschirrte Pferde vor halb-beladenen Wagen an den Toren der Gärten stehen, sah einen struppigen Bett-
    ler auf der langen weißen Straße wandern. Lächelnd nahm er sich vor, diesem
    Bettler etwas zu schenken, wenn er zum Kloster heraufkäme, und aufstehend
    überblickte er mit spielerischem Mitleiden die Straße mit ihrer großen Win-
    dung um Bach und Mühle herum und den steilen warmen Steinweg vor der
    Pforte, auf dem ein einsames Huhn träumerisch und unstet wandelte und an
    dessen glühenden Mauern die Eidechsen spielten. Sie liefen hastig, blieben still atmend stehen, bewegten leise und suchend die schönen Hälse und die dunklen
    harten Augen, sogen die von Wärme zitternde Luft mit Behagen ein und eil-
    ten plötzlich wieder, von unbekannten Entschlüssen getrieben, blitzschnell von hinnen, verschwanden in schmale Steinritzen und ließen die langen Schwänze
    heraushängen. Darüber wandelte den Zuschauer ein Durst an. Er verließ die
    Stube und schritt durch die kühlen Dormente in den verschlafenen Kreuz-
    gang hinüber. Dienstfertig zog ihm der Bruder Gärtner den schweren Eimer
    aus der kalten Zisternentiefe, in der die fallenden Tropfen unsichtbar auf ei-ne klingende Wasserfläche schlugen. Er füllte sich einen Becher, pflückte aus den wohlgehaltenen Limonenbüschen eine gelbe reife Frucht und drückte ihren
    Saft in sein Trinkwasser. Dann trank er in langsamen Zügen.
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    In seine Stube und an das Fenster zurückgekehrt, ließ er still genießende
    Blicke über die Täler, Gärten und Bergzüge wandern. Erlangte sein Blick ein
    sanft am Hange gelegenes Gehöft, so malte er sich im Geist einen sonnigen
    Torweg aus, unter dem Knechte mit gefüllten Körben, schwitzende Zugpferde
    und breitmäulige Ochsen, schreiende Kinder, eilige Hühner, freche Gänse, ro-
    sige Mägde ein und aus gingen. Kam ihm hoch auf einem Grat ein stattliches,
    steil emporflammendes Zypressenpaar zu Gesicht, so stellte er sich vor, er säße als ein Wanderer rastend darunter, eine Feder auf dem Hut, ein amüsantes
    Büchlein in der Tasche und ein Lied auf den Lippen. Wo ein Waldrand seinen
    gezackten Schatten auf eine lichte Wiese breitete, rastete sein Blick in der Vorstellung einer Sommergesellschaft: er sah junge Leute in den Anemonen
    lagern und sich die Zeit mit Plauderei und Liebesgetändel vertreiben, sah am Waldrand große flache Körbe mit kalten Speisen und Obst bereitliegen und
    in die kühle Walderde halb eingesenkt schmalhalsige Weinkrüge, in die man
    außerdem zu Hause Eisstückchen gelegt hatte.
    Er war gewohnt, sich am Betrachten der sichtbaren Welt zu ergötzen, so
    daß ihm, wenn andere Unterhaltung mangelte, jedes Stück Land oder

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