Die Eule - Niederrhein-Krimi
sie meinten. Das hatte ich schnell gelernt. Das Kind eines Politischen war schlimmer als das von Schwerkriminellen.«
Burmeester schlich sich ins Büro, reichte Karin eine Nachricht auf einem Zettel und setzte sich an seinen Schreibtisch. Karin stellte ihn vor, las, dass Tom vor dem Glaubenszentrum stand, der Anwalt und Con seien dort hineingegangen. Er solle den Kollegen abziehen und in den Feierabend schicken, wies sie Burmeester an. Noch bevor der Anwaltsschnösel protestieren konnte, redete van Laak weiter.
»Zu Ihrer Frage, ob wir verwandt sind, kann ich nur sagen, dass ich es nicht weiß. Da ist eine Ahnung. Haben Sie je ein kleines Kind erlebt und viele Jahre später erst wiedergesehen? Ich meinte, etwas Bekanntes wahrgenommen zu haben, als ich diese Frau zum ersten Mal sah. Ich kann heute noch nicht näher ausdrücken, was es war. Die Art, wie sie die Augenbrauen hochzieht, die Eleganz ihrer stolzen Bewegungen, die Pause vor ihren Sätzen, wenn sie Aufmerksamkeit aufbauen will. Ich wusste es nicht. Und dann habe ich recherchiert.«
»Wo haben Sie gesucht?«
»Wo sucht man wohl nach Vergangenheiten in der DDR ? Ich habe mir die Augen in alten Stasi-Akten wund gelesen, habe Meldelisten studiert und amtliche Papiere.«
»Was haben Sie herausgefunden?«
»Na eben, dass sie mal Stricker hieß. So wie ich. Das hat mich umgehauen. Ich wollte den Pilgeraufenthalt in Kevelaer dazu nutzen, um sie zu befragen. Wissen Sie, wenn ich mir nicht den Mund fusselig geredet hätte, wäre die Anmeldung der doch etwas sektiererischen Gruppe erst gar nicht akzeptiert worden. ›Die Gerechten der Welt‹, ich bitte Sie, das sagt doch schon alles.«
»Heißt das, ohne Ihre Fürsprache wäre diese Gruppe abgelehnt worden?«
»Richtig, es kann ja jeder nach Kevelaer kommen, aber Pilgergruppen, die von uns aufgenommen und begleitet werden, müssen schon einen christlichen Hintergrund haben. Die »Gerechten der Welt« glauben eher an ein Universum als an Gott. Ich wollte sie da haben, um die Frau aus der Nähe zu erleben, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Meine Neugier hat mich angetrieben. Und dann brach die Katastrophe herein.«
Karin lehnte sich zurück und dachte nach. Der Mann wirkte sehr glaubwürdig in seiner Offenheit und seiner Ungewissheit.
»Gibt es denn keine anderen Möglichkeiten für Sie, Informationen über Ihre Herkunft zu bekommen? Gab es keine Jugendämter, die zuständig waren?«
»Für Kinder von Politischen war die Stasi zuständig, was glauben denn Sie? Die hatten doch ein Auge darauf, ob die Brut der Abtrünnigen auf den rechten Pfad gelangte. Blieben die Kinder renitent, gab es Jugendwerkhöfe zur Umerziehung. Das waren Kindergefängnisse, damit hat man mir gedroht, wenn die Prügel nicht zu fruchten schienen. Das schlagfertigste Argument war der Hof, dann spurte ich ohne Murren. Meine Unterlagen fielen kurz nach der Wende dem Schredder zum Opfer. Ich hatte die Spurensuche schon lange aufgegeben und durch meinen Glauben einen neuen Weg entdeckt. Und dann steht diese Frau vor mir und rührt irgendwas ganz Kindliches in mir an. Mehr kann ich nicht sagen.«
Karin erkannte den Schmerz in seinen Worten, hatte schon oft vom Leid der fehlenden Erinnerungen und Informationen gehört.
»Das alles wollte ich mir am Strand an der Nordsee noch einmal gehörig durch den Kopf gehen lassen. Und dann ruft meine Frau ganz aufgelöst an, ich solle zurückkommen, weil mich die holländische Polizei sonst suchen würde.«
Er habe sich deshalb gleich einen Anwalt gesucht, weil er sich nicht vorstellen konnte, worum es ging. Angst habe er gehabt.
Karin sah ihm ins Gesicht. Der selbstsichere, ausgeglichene Pilgerbetreuer hatte dunkle Ränder unter den Augen.
»Tut mir leid, Herr van Laak, Sie hätten bei unserer ersten Begegnung mit offenen Karten spielen sollen.«
»Da war der Name Stricker kein Thema. Kann ich jetzt gehen?«
Karin nickte und wünschte ihm einen ruhigen Abend. Als beide Männer den Raum verlassen hatten, blickte Burmeester auf die Uhr.
»Komm, wir machen die Berichte fertig. Wenn wir uns beeilen, können wir noch eine Pizza essen gehen, bevor der ›Tatort‹ anfängt.«
Karin schmunzelte. Das war Nikolas Burmeester, störrisch, bunt, nicht nachtragend und trotz seiner Arbeit noch mit Herz für unrealistische Fernsehkommissare.
»Gute Idee. Und morgen mischen wir alles noch einmal neu auf.«
Morgen werden wir über ganz andere Informationen verfügen, dachte Burmeester.
* * *
Nikolas
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