Die Eule - Niederrhein-Krimi
dem Rundgang an der Tür rüttelte, dienstbeflissen und ordnungsgemäß überprüfte, ob alles dicht sei?
Verdammt, er musste sich einschließen, sie würden bald da sein. Die Tür zu öffnen hatte sich einfacher gestaltet, sie wieder zu verschließen kostete den Kommissar Zeit. Er tastete sich gerade von einer Tür zur anderen, um so etwas wie einen Geschäftsraum oder ein Büro zu finden, als von außen jemand an der Eingangstür rüttelte. Burmeester drückte sich an die Wand und wagte kaum zu atmen.
NEUN
24. Mai 1960, 22.45 Uhr
Der Verurteilte kauerte in einer Zellenecke und stieß seine Stirn, den Namen Lilli ununterbrochen flüsternd, beständig gegen die schallisolierte Wand, als würden der Name und sein Schädel sie gemeinsam zum Einsturz bringen können.
Die weiteren Worte des Majors erreichten ihn nur noch am Rande. Dreihundert Kilometer waren die gedungenen Entführer mit dem Todeskandidaten quer durch die Bundesrepublik gefahren, erzählte er. Hinter Eschwege ging es über Feldwege auf DDR -Territorium. Jenseits der Grenze bildeten zwei Stasileute und zwei Volkspolizisten das verabredete Empfangskomitee und quartierten den Rückkehrer in eine Dienstlimousine um. Der Tross steuerte die Zentrale der Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg an.
Der Exmajor erhielt eine Häftlingskarte, die später aber nichts darüber verzeichnete, wo er bis zu seiner Hinrichtung einsaß und wann er nach Erfurt und dann in die Todeszelle nach Dresden verlegt worden war. Der Entführte selbst hatte lange genug in diesem System operiert, um zu erkennen, dass ihm mit der Einlieferung zuerst ins größte und am besten gesicherte Gefängnis Hohenschönhausen kaum mehr zu helfen war. Ihn vermisste niemand. Das Schicksal eines Überläufers, dachte er hilflos.
Am nächsten Tag zahlte der Aktionsführer den beiden Entführern M. und N. je zehntausend Mark Belohnung aus. N. legte davon im Westen Berlins zweitausenddreihundertsechzig Mark in eine goldene Schweizer Uhr an und vergrub den Rest. M. beschloss, bürgerlich zu werden, mietete eine Wohnung und kaufte Möbel. Wie viel Geld er zuvor als Abschied vom Ganovenleben bei zwei durchfeierten Nächten in fragwürdigen Etablissements verjubelte, ist nicht belegt.
Der Major schlug mit der Hand gegen die schützende Wand, die den Druck lautlos und weich aufnahm. Das dumpfe Geräusch riss den Verurteilten aus seiner stoischen Haltung.
»Was ist mit meiner Tochter? Ihr verfluchten Stasiteufel habt sie gezwungen, ihr habt sie benutzt, einen Menschen, ihren eigenen Vater, dem Henker auszuliefern. Ihr seid abgefeimt und menschenverachtend, das ist mir klar. Aber sag mir, wie hält sie das aus?«
Der Major warf einen abschätzigen Blick auf das zusammengesunkene Häuflein Mensch.
»Frag doch erst mal, was sie bewogen hat, bei der Operation Lump mitzuspielen. Ihre Mutter, also deine geschiedene Frau, wurde wegen deiner eigenen Flucht inhaftiert. Du weißt, was mit Kindern von inhaftierten Frauen passiert? Sie war vierzehn, als der Staat begann, für ihre politische Gesinnung zu sorgen. Den Jugendwerkhof verließ sie, als sie volljährig war. Sie sagte, der Papa – sie nannte dich Jahre später immer noch so – sei eines Tages verschwunden, er hatte nur einen Zettel mit einer Nachricht auf dem Nachttisch hinterlassen. Sie wolle, dass die Mutti nach vielen Haftjahren endlich freikommt, und helfe deshalb mit, den Vater zurückzuholen. Sie war jung und naiv, sie hat sich nach den unglücklichen Erfahrungen mit eurer Familie an eine starke Figur gekettet. Ihr Verlobter lag ihr mit seiner Angst um seine Volkspolizeikarriere ständig in den Ohren. Sie sei freiwillig mitgekommen, das erzählte sie immer wieder. Willst du meine Meinung hören? Sie redet sich ihre Beteiligung schön, um ihre Beklemmung und die aufkeimenden Schuldgefühle in Schach zu halten. Sie musste bemerkt haben, dass das Ministerium für Staatssicherheit gemeinsam mit höchsten staatlichen Stellen unserer Republik die Rückführung aus der BRD umsetzen würde. Mit allen Konsequenzen.«
Der Major blickte dem Verurteilten in die Augen. »Dass du für die Flucht aus der DDR bestraft werden würdest, dafür hatte deine Tochter Verständnis. Wir haben sie überprüft, sie wurde als parteiverbunden, klassenbewusst und verschwiegen eingestuft. Deine Verbannung nach Sibirien, ja, das hätte sie akzeptiert, aber an ein Todesurteil für dich hat sie nie gedacht. Die Schuld hat sie innerlich aufgefressen, das war ihre Buße. Wir
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