Die ewige Straße
Lager für die Nacht am Ufer auf. Am nächsten Morgen machten sie sich, gestärkt durch ein ausgiebiges Frühstück, auf den Weg durch die zerstörte Stadt. Wie schon in Chicago waren auch hier etliche der großen Bauwerke eingestürzt. Im Nordwesten ruhte ein großes, schalenförmiges Bauwerk, das aussah wie ein gigantisches Amphitheater, weitgehend erhalten in einem Meer von Ruinen. Der Wald kehrte zurück, und hie und da wuchsen kleine Gehölze mit Walnuß- und Baumwollbäumen auf den Knochen vorzeitlicher Monstrositäten.
Sie gelangten an einen schmalen, langgestreckten See zwischen Hügeln, wo die Bäume bis ans Wasser reichten.
Der See lag still, und sie rasteten, um die Ruhe des Waldes zu genießen, der die gewaltigen Ruinenfelder umgab.
Enten schwammen auf dem stillen Wasser, und Schildkröten paddelten über den Grund. Am östlichen Ende des Sees ragte ein grauer Betonklotz aus den Fluten, in den ein Schriftzug eingelassen war: DETROIT-WINDSOR-TUNNEL. Merkwürdig genug, denn nirgendwo war ein Tunnel zu sehen.
Der Weg führte wieder zum Fluß zurück, wo er schließlich endete. Zwei von Landon Shays Markierungen zeigten senkrecht nach unten. »Offensichtlich überquerten sie hier den Fluß«, sagte Quait.
Bis zum anderen Ufer war es recht weit. Flojian musterte die Bäume. Ein paar waren vor langer Zeit gefällt worden, wie an den Stümpfen zu erkennen war. »Jedenfalls besser, als hoch in der Luft zu hängen«, sagte Flojian.
»Ich habe noch nie ein Floß gebaut«, meinte Chaka. »Wissen wir überhaupt, wie das geht?«
Flojian tat schockiert. »Wissen wir, wie das geht? Weißt du, wie man Schmuck anfertigt? Auf diese Art und Weise verdiene ich mir meinen Lebensunterhalt!« Er grinste schief. »Na ja, wenigstens habe ich damit angefangen.«
Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatten sie acht Bäume gefällt, gar nicht schlecht für einen Geschäftsmann, einen Berufssoldaten und eine ehemalige Priesterin. (Sie hatten Chaka, die als physisch schwächste von allen erachtet wurde, zum Angeln geschickt. Sie kehrte zum Abendessen mit Forellen zurück.)
Ihre Beziehung zu Quait hatte sich seit seinem Heiratsantrag gleich in mehrfacher Hinsicht geändert. Seltsamerweise hatte die Distanz zwischen beiden eher zug e nommen. Ihr Verhalten zueinander war zwar nicht förmlicher geworden, aber irgendwie besonnener. Sie hielten sich nicht mehr verstohlen an den Händen, und es gab so gut wie keine heimlichen Küsse mehr. Vielleicht rührte es aus Quaits Gespür für das sorgsam ausbalancierte Gleichgewicht zwischen den vier Gefährten und einer Angst her, es zu stören (was eine offizielle Verlobung sicherlich getan hätte), vielleicht war aber auch Chakas instinktive Neigung schuld, ihre Unabhängigkeit sicherzustellen.
Chaka blieb auch nicht verborgen, daß die sexuelle Spannung sich gelegt hatte. Quait hatte bereits in den ersten Tagen der Reise ihr Interesse erweckt, aus dem nach und nach (oder vielleicht auch nicht) zuerst Freundschaft und dann Leidenschaft erwachsen war. Schließlich war ihr bewußt geworden, daß sie sich für ihn in Szene setzte, daß ihre Stimme weicher klang, wenn sie zu ihm sprach, und daß sie zu lange in die untergehende Sonne blickte und ihre Augen für sich sprechen ließ, wenn er sie von der Seite beobachtet hatte. Sicherlich wäre es falsch gewesen zu behaupten, daß sie nun dazu keine Notwendigkeit mehr verspürte, doch der Druck war verschwunden. Sie genoß seine Gegenwart viel unbeschwerter.
Sie war neugierig, warum er sie in Gegenwart der anderen gefragt hatte. »Warst du dir so sicher?« wollte sie von ihm wissen.
»Ich wollte mich öffentlich zu dir bekennen«, antwortete er. »Die Umstände sind außergewöhnlich. Ich wollte nicht, daß du denkst, ich könnte versuchen das auszunutzen. Ich wollte, daß du merkst, wie ernst es mir ist.«
Quait hatte die erste Wache. Sie lag halb wach und lauschte dem Knacken der Scheite im Feuer und dem Murmeln des Flusses. Quait drehte seine Runden zwischen dem Lager und den Pferden.
Er war großgewachsen, obwohl er neben dem Riesen Jon Shannon stets klein ausgesehen hatte. Selbst Avila war einen Zoll größer als Quait, aber Avila war mit über sechs Fuß ebenfalls eine halbe Riesin. Quait besaß breite Schultern und bewegte sich mit einer lässigen Eleganz. Er war hübsch, obwohl nicht in klassischer Hinsicht. Er besaß weder das lange, schmale Gesicht noch die gerade Nase und was sonst noch. Quaits Gesichtszüge hätten die meisten Frauen
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