Die ewige Straße
später mit glasigen Augen zurück.
Wie es in dieser relativ zivilisierten Zeit üblich war, verkündeten die Friedenswächter, daß beide wegen der verursachten Scherereien zusätzlich angezeigt würden, dann entschuldigten sie sich dafür, daß sie möglicherweise unnötig rohe Gewalt angewendet hatten und gaben deutlich zu verstehen, daß weitere Feindseligkeiten um einiges ernster gehandhabt würden. Der Rest des Abends verlief, als wäre nichts Ungehöriges geschehen.
Später fand Avila eine Gelegenheit, Flojian zur Seite zu ziehen. »Ich weiß es zu schätzen, daß Sie mich dort drin verteidigt haben«, sagte sie.
Flojian erwiderte ihren Blick. »Das hätte ich für jede Frau getan«, sagte er.
Die Wildwaldstraße war ein Artefakt der Straßenbauer. Ihre Doppelspur zog sich durch den Wald, erklomm im Osten die Hügel und verschwand schließlich am Horizont im Dunst. Die Straße war zumeist unter einer einen Fuß hohen Schicht aus Mutterboden begraben. Gelegentlich jedoch war der Boden weggespült, und der Asphalt glänzte in der Sonne. Daß sie nach all den Jahrhunderten noch immer benutzbar war, zeigte, wie hoch die Ingenieurskunst der Straßenbauer entwickelt gewesen sein mußte. Chaka versuchte sich vorzustellen, wie die Straße ausgesehen haben mochte, als sie noch neu war und Hojjies (wodurch auch immer) über die künstliche Oberfläche rollten. Hinter ihnen, im Nordwesten, ragten die Türme Argons in den nachmittäglichen Dunst.
An jenem Abend schlugen sie ihr Lager auf der Straße auf, genossen einen Kanincheneintopf, den Chaka und Quait zubereiteten, und lauschten den Geräuschen des Waldes. Avila brachte einen Satz Pfeifen zum Vorschein, und Quait packte sein Walloon aus (ein Saiteninstrument). Sie spielten ein Ständchen und ein paar Trinklieder für die nächtlichen Waldbewohner. Silas fertigte den ersten Eintrag in sein Reisetagebuch an, und Avila verzichtete auf ihr nächtliches Gebet zu Shanta.
Es war eine schwierige Entscheidung für sie, denn sie wußte, daß Gefahren warteten, und sämtliche Instinkte verlangten, daß sie ihr Leben in Shantas Hände legte. Doch Avila rebellierte. In meine Hände, sagte sie sich immer wieder. In meine eigenen Hände, und wenn ich das hier überleben will, dann darf ich das nicht einen Augenblick lang vergessen.
Flojian war außerordentlich zufrieden mit sich. Er war jetzt schon zum zweiten Mal gegen Großmäuler aufgestanden. Nicht schlecht für einen Mann, der Konflikten instinktiv aus dem Weg ging. Er hatte den Zwischenfall unterwegs immer und immer wieder durchgespielt, sich dabei beobachtet, wie er den Riesen herausgefordert hatte, und die ganz besondere Art von Freude entdeckt, die ein Akt des Mutes einem Mann verschaffen kann. Wenn alles gut ging.
Sein Vater wäre stolz auf ihn gewesen. Genauso, wie Avila stolz war.
Flojian hatte die Probleme mit seinem Vater stets auf die Tatsache zurückgeführt, daß der einfach nichts von seinem Sohn gehalten hatte. Flojian hatte sich nicht für die Geheimnisse der Straßenbauer interessiert, nicht für ihre Städte und nicht für die Vergangenheit. Er war niemals durch die altehrwürdigen Korridore spaziert, in denen sein Vater den größten Teil seines intellektuellen Lebens verbracht hatte.
Flojians Mutter war gestorben, als er zwei Jahre alt gewesen war, und Karik hatte nie Zeit für das Kind gehabt. Flojian war bei verschiedenen Tanten und zusammen mit seinen Vettern aufgewachsen. Dein Vater gräbt zur Zeit eine Straßenbauerkirche in Fernstraße aus, ha t ten sie ihm gesagt. Oder: Man hat ein paar seltsame Ho j jies südlich von Masandik entdeckt, und jetzt versucht er herauszufinden, wozu sie gedient haben. Und so hatte Flojian einen Widerwillen gegen die Straßenbauer und das Imperium und die Bibliothek und alles andere entwickelt, woran sein Vater geglaubt hatte. Das hatte er davon. Es war sowieso alles Unsinn. Ironie des Schicksals, daß Flojian sich am Ende als Teilnehmer dieser Expedition wiederfand. Doch die Verdächtigungen, die seinem Vater viele Jahre lang angehaftet hatten, waren auch für Flojians Ruf und konsequenterweise für sein Geschäft schädlich gewesen. Demzufolge hatte er keine große Wahl gehabt. Doch welche Gründe auch immer, Karik wäre erfreut gewesen, und diese Tatsache ärgerte Flojian nicht wenig.
An jenem Abend herrschte allgemein aufgeregte Spannung, weil die eigentliche Expedition nun endlich begonnen hatte. Im Verlauf des folgenden Tages würden sie die Grenze der
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