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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
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stammelte ich, um Worte ringend. »Meine Ärztin und ich haben die ganze Sache vorher durchgesprochen. Wir redeten in allen Einzelheiten darüber, was während der Operation geschehen würde, welche Möglichkeiten des Brustaufbaus es gäbe, und dass möglicherweise noch eine Nachbehandlung mit Chemotherapie und Bestrahlung auf mich zukäme. Wir erörterten sogar die seelischen Aspekte. Sie warnte mich vor einer Berg-und-Tal-Fahrt der Gefühle, und ich … ich dachte, ich hätte sie verstanden. Ich dachte, ich könnte damit umgehen, aber das stimmte nicht. Nicht im Geringsten.«
    Mary Dell lehnte sich mit dem Rücken gegen die Fensterbank und lauschte mit schräg geneigtem Kopf. Ich konnte jetzt wieder zu ihr hinüberblicken, weil sie mit ihrem Körper die letzten Strahlen der Nachmittagssonne abschirmte. Das Sonnenlicht in ihrem Rücken ließ jede graublonde Strähne ihres gekräuselten Haares in Rosa und Gold leuchten. Dazu funkelten und blitzten die zahllosen Prismen ihrer Strassohrringe so fantastisch, dass ihre ganze Gestalt wie eine himmlische Erscheinung wirkte.
    »Vor der Operation hatte ich alles ruhig und logisch durchdacht, so als ginge es um jemand anderen, verstehst du?« Ich weiß nicht, ob sie es tatsächlich verstand, doch jedenfalls nickte sie.
    »Selbstverständlich würde ich es überstehen. Schließlich war es eine vernünftige Entscheidung. Meine Brüste oder mein Leben – da gab es gar keine Wahl! Aber warum eigentlich? Warum hatte ich keine Wahl? Warum musste mir das passieren? Womit habe ich das verdient?« Ich stemmte mich vom Bett hoch und stand mit vor Zorn geballten Fäusten vor meiner Freundin.
    »Warum?«, fragte ich mit gepresster Stimme. »Sag’s mir!«
    »Ich weiß es nicht. Keiner weiß es.«
    »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie das ist? Kannst du es dir vorstellen? Alle erzählen mir, wie viel Glück ich hatte, dass der Krebs noch rechtzeitig entdeckt wurde, und was die plastische Chirurgie heutzutage Tolles leistet. Wenn das noch ein einziges Mal jemand zu mir sagt, knalle ich ihm eine, das schwöre ich! Wie kann man da von Glück reden?«, stieß ich mit einem rauen entgeisterten Lachen hervor, während ich die Hände an die Brust presste.
    »Weißt du, wie die plastischen Chirurgen dazu sagen? Hügel. Nicht etwa Brüste, sondern Hügel. Wenn es mir wieder besser geht, setzen sie mir Implantate ein und tätowieren darauf etwas, das wie eine Brustwarze aussehen soll. Da, wo meine Brüste waren, werden zwei Wölbungen sein. Aber es sind eben keine Brüste, sondern Hügel.«
    Mein Zorn war noch immer nicht verraucht, aber ich war mit meiner Kraft am Ende. Müde und erschöpft legte ich eine Hand über die Augen. »Ich lebe noch. Ich weiß, dafür sollte ich dankbar sein, aber das bin ich nicht. Stattdessen fühle ich mich betrogen. Seit Jahren wird das, was mich ausmacht, immer weniger. Stück für Stück verliere ich Teile meiner selbst – meine Ehe, meine Familie, mein Zuhause und jetzt sogar meine Weiblichkeit. Wer bin ich denn noch?« Ich öffnete die Augen und forschte in Mary Dells geduldigen Augen nach einer Antwort. »Wenn ich immer weniger werden soll, bis schließlich nichts mehr von mir übrig ist, warum macht Gott dann nicht gleich Schluss mit mir? Es ist leicht gesagt, ich soll mich aufraffen und mit meinem Leben weitermachen. Manchmal sage ich es mir ja selbst, aber was für ein Leben soll das denn sein? Werde ich jemals wieder geliebt werden? Wird mich je wieder ein Mann begehrenswert finden? Und selbst wenn, werde ich seine Gefühle erwidern können? Gestern habe ich mich ausgezogen und in den Spiegel geschaut. Ich sehe aus wie eine alte Lumpenpuppe voller schlecht geflickter Risse. Wie sollte mich jemand mögen? Und was büße ich als Nächstes ein? Mein Geschäft? Das war das einzig Gute, was mir in diesen schrecklichen vergangenen Jahren passiert ist, und jetzt stehe ich kurz davor, es auch noch zu verlieren, und damit den Rest meiner gesamten Ersparnisse. Und was mache ich dann? Ich bin fünfzig Jahre alt. Zu alt für eine zweite Chance – oder, besser gesagt, eine dritte Chance. Ich könnte es nicht ertragen, noch mehr zu verlieren, Mary Dell. Das halte ich einfach nicht aus.«
    Sie stieß sich von der Fensterbank ab und kam auf mich zu. Der überirdische Glanz, der sie umgab, verblasste und wurde wieder zu gewöhnlichem Tageslicht, und ich sah, dass sie kein Engel war – bloß Mary Dell. Meine alte Freundin, die selbst schon Schmerz und Angst ausgestanden

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