Die Fäden des Schicksals
hatte und alles stehen und liegen ließ und durch das ganze Land flog, nur um sich mein Gejammer anzuhören. Bloß Mary Dell. Die für mich da war, wenn ich sie am dringendsten brauchte.
Sie kam durch das Zimmer auf mich zu, und für einen Augenblick dachte ich, sie wollte mich umarmen und mir sagen, dass alles wieder gut würde. Doch sie ging an mir vorbei und begann, das Bett zu machen. Sie strich das Laken glatt und steckte die Decke so fest in die Matratzenritzen, dass ich sie hätte losreißen müssen, um wieder ins Bett zu steigen.
»Bevor ich Howard bekam, hatte ich sechs Fehlgeburten. Ich wünschte mir so sehr ein Baby, und mein Mann Donny auch. Wir versuchten es immer weiter, doch jedes Mal schaffte ich es etwa bis zum fünften Monat – lange genug, dass man mir die Schwangerschaft ansehen konnte und alle Leute anfingen, uns zu gratulieren –, dann verlor ich das Kind. Bei den ersten Schwangerschaften bekamen wir sogar Glückwunschkarten und Geschenke, doch ab dem dritten Mal blieben die Leute im Geschäft oder in der Kirche stehen, blickten mich mit sorgenvoller Miene an und versprachen, für uns zu beten. Ich wusste, dass sie es gut meinten, aber ich hätte sie trotzdem ohrfeigen können.« Sie fasste den Quilt der gebrochenen Herzen bei den Ecken und schüttelte ihn so kräftig aus, dass kleine Flusen wie Sonnenstäubchen durch die Luft wirbelten, bevor sie ihn über das Bett breitete. Ohne mich anzusehen, glättete sie mit der Hand die letzten Fältchen.
»Nach dem sechsten Mal sagten die Ärzte, wir sollten es aufgeben. Es bestünde keine Hoffnung mehr, und die vielen Fehlgeburten schadeten meiner Gesundheit. Donny und ich sprachen darüber und beschlossen, auf den Rat der Ärzte zu hören und ein Kind zu adoptieren. Doch immer, wenn wir ein Baby in Aussicht hatten, kam etwas dazwischen, und wir waren wieder einmal am Boden zerstört. Donny wünschte sich sehnlichst einen Sohn. Eines Tages kam ich nach Hause und fand ihn weinend im Schlafzimmer. In der Hand hielt er ein Schreiben, in dem man uns mitteilte, dass die leibliche Mutter des Kindes, das wir bekommen sollten, es sich anders überlegt und sich entschlossen hatte, das Baby selbst zu behalten. Ich war schon sechsunddreißig, dennoch beschlossen wir, es noch einmal zu versuchen, ein eigenes Kind zu bekommen.«
»Howard«, sagte ich.
Sie nickte, während sie die Kopfkissen aufschüttelte. »Howard. Abgesehen von Donny und den Ärzten erzählte ich niemandem etwas von meiner Schwangerschaft. Von Anfang an trug ich weite Kleidung und stöhnte über mein Gewicht, damit die Leute glaubten, ich hätte einfach ein paar Pfund zugenommen. Doch als ich dann im sechsten Monat war und mir klar wurde, dass ich diesmal tatsächlich ein Kind bekommen würde, war ich schrecklich aufgeregt. Und Donny auch. Wir hatten so viel mit unserem Sohn vor. Er sollte Klavier spielen, Brücken entwerfen, ein Heilmittel gegen Krebs entdecken und so ganz nebenbei noch Präsident der Vereinigten Staaten werden. Donny wünschte sich, dass er als Quarterback für die Cowboys spielen sollte.« Lächelnd klopfte sie noch einmal mit der Hand auf das Kissen, bevor sie sich aufrichtete und, die Hände in die Hüften gestützt, ihr Werk mit ernster, prüfender Miene betrachtete.
»Dann kam Howard zur Welt, und die Ärzte sagten, er habe das Downsyndrom. Es war fast wie eine erneute Fehlgeburt. Wir hatten das Kind verloren, auf das wir uns gefreut hatten. Den Jungen, der Brücken bauen, um den Super Bowl spielen und in der Präsidentenmaschine fliegen sollte. Dieses Kind hatte es nie gegeben, außer in unserer Fantasie. Doch wir trauerten trotzdem um dieses Wesen. Ich saß im Kinderzimmer im Schaukelstuhl und weinte mir die Augen aus, und Donny ging einen Liter Milch holen und kam nie wieder.
Innerhalb einer Woche hatte ich meinen Mann, meine Ehe und mein Traumkind verloren. Ich hatte kein Geld, keinen Job und keine Ahnung, wie ich ganz allein ein Kind mit besonderen Bedürfnissen großziehen sollte. Ich hatte so rasch so viel verloren und war derart traurig und verwirrt über das, was ich mir selbst eingebrockt hatte, dass ich gar nicht sah, was mir geblieben war. Die meiste Zeit saß ich nur herum und weinte. Nun war es aber so, dass Howard als Baby lauter heulen konnte als ich. Er machte sich keine Gedanken um den Sinn des Lebens oder darum, dass alles so ungerecht war, sondern bestand einfach auf seiner Mahlzeit und einer sauberen Windel. Also musste ich mich wohl oder übel
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