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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
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auf dem Laufsteg erinnerte. Doch sie hatten noch viel mehr Gemeinsamkeiten. Sie waren beide intelligent und begabt, wenn auch auf unterschiedlichen Gebieten. Man fühlte sich unwillkürlich zu ihnen hingezogen, begierig darauf herauszufinden, was in ihnen vorging. Doch beide Frauen errichteten Mauern um sich, um andere auf Distanz zu halten.
    Liza mit ihrer abschreckenden Gruftie-Aufmachung, den zerrissenen Jeans und der versteinerten Miene war leicht zu durchschauen. Wie Generationen von zornigen, verletzten Teenagern vor ihr hatte sie sich zum Schutz eine raue Schale zugelegt. Ich erinnerte mich daran, dass auch ich eine Zeit lang eine ähnliche Haltung gezeigt, sie jedoch glücklicherweise wieder abgelegt hatte, als ich erwachsen wurde. Eines Tages würde Liza hoffentlich dasselbe tun.
    Abigail war anders. Ihr Schutzschild war schwerer zu erkennen und zu durchdringen. Er wirkte wie ein blendend heller Lichtstrahl, der die Menschen unwiderstehlich anzog, sie jedoch gleichzeitig auf Abstand hielt. Abigails Mauer bestand zu gleichen Teilen aus offensichtlicher Großzügigkeit, tadellosen Manieren und einer verblüffenden Fähigkeit, anderen Leuten Informationen zu entlocken, ohne etwas von sich selbst preiszugeben. Wie unglaublich geschickt sie darin war, hatte ich mit eigenen Augen gesehen. Ich war jedoch nicht davon überzeugt, dass ihr wirklich an diesen Informationen gelegen war, die man ihr so bereitwillig lieferte. Ihr ging es eher darum, Menschen zu bezaubern und sie glauben zu machen, sie wäre ehrlich an ihnen interessiert. Abigail sammelte Bewunderer wie andere Leute Anhänger für ein Bettelarmband.
    Ich weiß, das klingt, als wäre Abigail kalt und berechnend und als steckte hinter ihrem einnehmenden Verhalten der Wunsch, Menschen zu manipulieren, doch so einfach lag die Sache nicht. Wäre Abigail wirklich nur auf Manipulation aus gewesen, dann hätte man sie schon längst durchschaut. So etwas lässt sich nicht lange verbergen, vor allem nicht in einer Kleinstadt wie New Bern, in der Abigail beinahe ihr ganzes Leben verbracht hatte. Ich war davon überzeugt, dass sich hinter Abigails faszinierender, doch undurchdringlicher Mauer ein von Grund auf freundlicher, mitfühlender Mensch verbarg, der vergeblich nach außen drängte. Dasselbe galt für Liza.
    Auch was ihre Verletzungen betraf, glichen sie einander. Und sie waren beide einsam, obgleich sie als Verwandte unter einem Dach lebten. Warum nur konnten sie nicht das Gute im jeweils anderen erkennen und einander trösten? Ich fragte mich, ob der Tod von Lizas Mutter etwas damit zu tun hatte. Ich wusste, dass Susan etwa vor einem Jahr gestorben war, doch ich hatte den Eindruck, dass schon viel länger etwas zwischen Abigail und ihrer Nichte stand. Genaueres konnte ich jedoch nicht herausbekommen. Lizas Zögern, als Margot sie etwas über ihre Mutter fragte, und Abigails rasches, geschicktes Ausweichmanöver waren sehr aufschlussreich gewesen. Liza und Abigail waren nur selten einer Meinung, doch in diesem Punkt waren sie sich einig: Die Familiengeheimnisse der Burgess sollten im Verborgenen bleiben.
    »Vielen Dank, Evelyn. Sie haben recht. Im Augenblick ist mein Terminkalender wirklich voll, und das Frauenhaus plant möglicherweise eine neue Spendenkampagne, was noch mehr Arbeit für mich bedeuten würde. Ich hoffe also, Sie haben Verständnis dafür, wenn ich mich aus Ihrer kleinen Quiltrunde verabschiede.« Sie blickte auf ihre Uhr.
    »Jetzt muss ich aber wirklich gehen. Ich wusste gar nicht, dass es schon so spät ist. Ich habe versprochen, noch bei Alana und Link Burkstead vorbeizuschauen. Sie organisieren eine Wohltätigkeitsveranstaltung für den Historischen Verein von New Bern.«
    Liza, die bereits Platz genommen hatte und in den Musterbüchern blätterte, schnaubte verächtlich. »Ja, klar. Die können bestimmt keine Wohltätigkeitsversteigerung und kein Saufgelage ohne dich abhalten.«
    »Das ist aber nicht sehr nett, Liza«, tadelte Margot sanft. Ich war froh über ihre Bemerkung, denn sonst hätte ich etwas sagen müssen und wäre dabei vermutlich weit weniger diplomatisch gewesen. »Wie Evelyn schon sagte, Abigails Arbeit ist sehr wichtig und hilft vielen Menschen. Ich habe das Zusammensein mit ihr während der letzten Wochen wirklich genossen, aber wenn sie keine Zeit hat, bei unserer Quiltrunde mitzumachen … nun, dann sollten wir das respektieren. Wir haben wirklich Verständnis dafür, Abigail, aber wir werden Sie trotzdem vermissen.«

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