Die Fäden des Schicksals
man einfach bewundern. Meine eigenen Kochkünste reichen nicht wesentlich über Instantnudeln und Tiefkühlstrudel hinaus.«
»Das glaube ich gern, wenn ich dich so ansehe. Du bist zu dünn«, erwiderte ich tadelnd und sah zu, wie er sein Frühstück verschlang. Ich fragte mich, ob ich mehr Rührei hätte machen sollen. »Ich sorge mich um dich. Du arbeitest zwölf bis vierzehn Stunden. Du bist sogar zu müde, um mit einem Mädchen auszugehen, und du isst nicht genug. Ich weiß ja, dass du in deinem Job gut verdienst, aber ich bin trotzdem nicht sicher, ob es die richtige Firma für dich ist. Das Leben ist kurz, mein Liebling. Zu kurz, um nur für einen Gehaltsscheck zu schuften. Ich weiß, du liebst deinen Beruf, aber …«
»Im Grunde genommen«, entgegnete er mit vollem Mund, »hasse ich meinen Job. Versteh mich nicht falsch; ich arbeite gern mit Computern, aber ich habe schließlich Designer gelernt. Mein Traum war es immer, für meine Kunden Websites zu erstellen, neue Programme zu entwickeln und Probleme zu lösen. Stattdessen sitze ich den lieben langen Tag vor dem Bildschirm und starre auf lange Reihen von Zahlen. Manchmal vergehen Tage, ohne dass ich persönlich mit einem Menschen spreche.« Er legte die Gabel hin und tat einen tiefen Atemzug. »Und deswegen werde ich kündigen.«
»Du willst deinen Job aufgeben? Wann ist dir das denn eingefallen?«
»Heute Nacht, um genau zu sein. Und gleich Montagmorgen fliege ich zurück nach Seattle und reiche die Kündigung ein. Wenn die zweiwöchige Kündigungsfrist vorbei ist, komme ich für eine Weile wieder her und überlege mir, was ich als Nächstes tun soll. Deine Schlafcouch ist bequemer, als sie aussieht.« Er grinste, während er sein Muffin verspeiste.
»Und das alles hast du dir vergangene Nacht überlegt, Garrett?« Ich machte mir Sorgen wegen seiner langen Arbeitszeiten, dennoch kam mir diese Entscheidung reichlich übereilt und irgendwie verdächtig vor. »Das hat doch wohl nichts mit der Tatsache zu tun, dass ich Krebs habe, oder? Ich habe dir ja gesagt, es geht mir bald wieder gut, Garrett. Ich werde damit fertig, und ich will nicht, dass du meinetwegen deine Zukunft aufs Spiel setzt …«
Er hob abwehrend die Hände, bis er sein Muffin hinuntergeschluckt hatte. Als er wieder sprechen konnte, war der unbekümmerte Ton verschwunden. Seine Stimme klang ernst, ruhig und unbeirrt. Zum ersten Mal sah ich in ihm nicht meinen jungenhaften, übermütigen Sohn, sondern einen tüchtigen, tatkräftigen Mann. Kein Wunder, dass sich die Firmen nach seinem Collegeabschluss um ihn gerissen hatten.
»Okay«, sagte er und verspeiste den letzten Happen Muffin. »Zunächst einmal setze ich nicht meine Zukunft aufs Spiel. Davon kann keine Rede sein. Wenn ich bei einer anderen Firma anfangen wollte, hätte ich morgen einen neuen Job. Aber das will ich gar nicht. Ich will mich mit dem beschäftigen, was ich gelernt habe, nämlich Webdesign. Und das kann ich nur auf eigene Faust.« Ich wollte etwas sagen, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen. »Bevor du davon anfängst – ich kann es mir durchaus leisten. Der Vorteil, wenn man für Claremont Solutions arbeitet, ist das Gehalt. Sie bezahlen dich sehr gut und halten dich so in Trab, dass du nicht dazu kommst, etwas von dem Geld auszugeben. Es liegt alles auf meinem Bankkonto herum.
Und du kannst sagen, was du willst, ich möchte in deiner Nähe sein, bis du wieder ganz gesund bist.« Er schlug einen so entschiedenen Ton an, dass ich mich fragte, ob er wirklich so fest von meiner Genesung überzeugt war, wie er vorgab: »Du wirst wieder gesund, und ich möchte dir dabei helfen. Ist es denn so schlimm, wenn ein Sohn diesen Wunsch hat? Wenn er seiner Mutter helfen will, die ihm sein ganzes Leben lang geholfen hat?«
»Nein«, sagte ich leise. »Natürlich nicht. Aber ich will nicht, dass du deine Zukunft für mich opferst. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir.«
Er nickte. »Ja, aber wie du schon sagtest, das Leben ist kurz. Zu kurz, um noch weitere zehn oder auch nur fünf Jahre mit einer Arbeit zu verbringen, die ich verabscheue. Der Gedanke ist mir schon vor einiger Zeit gekommen, aber nach unserem Gespräch gestern Abend, und nachdem ich gesehen habe, wie glücklich du hier bist« – er wies mit dem Kopf auf die Treppe, die hinunter in den Laden führte –, »was für tolle Freunde du hast, und dass du endlich das tun kannst, was du immer wolltest … Da nahmen einfach einige Gedanken Gestalt an, die mir
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