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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
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seit Monaten in deinem Haus, und ich kenne dich noch immer nicht. Aber eins weiß ich genau: Dir tut es nicht leid, was du meiner Mutter angetan hast. Nicht die Bohne. Du gefällst dir bloß in deiner neuen Rolle – Abigail Burgess Wynne, großherzige Wohltäterin der Mühseligen und Beladenen. Die armen krebskranken Quiltladenbesitzerinnen hilft, undankbare Nichten mit krimineller Vergangenheit aufnimmt, Quilts für kleine Kinder näht, die sie kaum kennt, und obdachlosen Frauen ein Weihnachtsessen serviert.«
    Sie blickte auf und sah mich an. Wieder war das zornige Funkeln in ihren Augen. »Das wird sich alles gut in deinem Nachruf machen, was?«
    »Liza! Wie abscheulich! Wie kannst du nur so etwas Gemeines sagen!«
    »Gemein, ach ja? Gut so! Ich hasse dich nämlich wirklich. Ich hasse alles an dir; dein Haus, deine Klamotten, den Klang deiner Stimme. Und was ich ganz besonders hasse und verabscheue, ist, dass ich jedes Mal, wenn ich dich anblicke, meine Mutter sehe. Du siehst genauso aus wie sie, wusstest du das? Wenn ich dich sehe, muss ich daran denken, dass sie fort ist, und du bist noch da. Sie war gutherzig und freundlich und liebevoll zu mir, und sie ist tot. Du bist kalt und egoistisch, und du gibst dich bloß mit mir ab, weil du es musst. Und trotzdem bist du noch am Leben. Warum?«
    Sie hasst mich? Wieso denn bloß? Nach allem, was ich für sie … Wieder kam mir mein Standardspruch in den Sinn, wie immer, wenn ich mich in Empörung über Lizas Benehmen und Ansichten hineinsteigerte. Doch plötzlich, für einen kurzen Augenblick, nicht länger als ein Atemzug, schien die ganze Szene einzufrieren. Die Stimme in meinem Kopf verstummte, und ich schaute Liza an, als sähe ich sie zum ersten Mal. Ich blickte hinter die zornerfüllten Augen, die schrille Kleidung und Schminke, die mürrische Haltung und entdeckte dort Kummer, Verzweiflung und herzzerreißende Einsamkeit. Und endlich erkannte ich die Wahrheit – ihre Qual hatte ich mit verschuldet.
    Die ganze Zeit über beglückwünschte ich mich selbst zu allem, was ich für Liza getan hatte, und fühlte mich als Märtyrerin, weil ich ihr so viel gegeben hatte. Aber was hatte ich ihr denn schon gegeben? Alles, bis auf das, was sie wirklich brauchte. Wieder machte sich meine empörte innere Stimme bemerkbar, doch irgendetwas war anders geworden.
    Es war nicht mehr die alte Litanei, sondern eine neue Erkenntnis, die meine Entrüstung zum Schweigen brachte, mich innehalten ließ und mit Scham erfüllte … Nach allem, was ich getan habe. Und was ich nicht getan habe. Sie hasst mich. Wie könnte es auch anders sein?
    Zögernd und unbeholfen machte ich einen Schritt auf meine Nichte zu, auf das einzige Kind meiner Schwester, den einzigen Menschen auf der Welt, der Namen und Familiengeschichte mit mir teilte und durch Geburt und Vergangenheit mit mir verbunden war. Ich hob die Hand, um ihre Schulter zu berühren, doch sie zuckte vor mir zurück und verschränkte die Arme schützend vor der Brust. Sie wirkte so jung.
    »Liza … ich … es tut mir so leid, dass …« Ich wusste nicht, was ich sagen, wie ich sie um Verzeihung bitten sollte. Es war so lange her, seit ich mich für irgendetwas entschuldigt hatte. Nicht jammern und sich nicht rechtfertigen, nach diesem Grundsatz hatte ich gelebt. Jetzt war ich völlig ratlos und sagte daher einfach: »Du musst sie schrecklich vermissen.«
    Liza biss sichtlich die Zähne zusammen und schluckte schwer. Ich konnte sehen, wie die Muskeln unter der zarten Haut ihres langen Halses zuckten. »Ich ging damals nur in den Quiltladen, um dich zu quälen«, begann sie schließlich. »Mir ging es gar nicht ums Quilten oder darum, etwas für die Brustkrebsforschung zu tun. Doch dann lernte ich Margot und Evelyn kennen. Die beiden waren so nett zu mir, und auch das Quilten machte mir Spaß. Eine Zeit lang vergaß ich ganz, dich zu hassen. Doch dann, als Evelyn den Zusammenbruch hatte …« Ihre Stimme verlor sich, als sie an jenen Abend dachte.
    »Als Evelyn so schrecklich zu weinen anfing, bekam ich für einen Augenblick wirklich Angst. Es war, als müsste ich alles, was mit Mom geschehen war, noch einmal mit ansehen. Doch dann nahm Margot die Sache in die Hand, und gleich darauf kümmerten sich alle um Evelyn – sogar du. Das war eine Erleichterung für mich. Verstehst du? Es war nicht so wie bei Mom, die nur mich hatte, auf die sie sich verlassen konnte. Alle halfen Evelyn, bis es ihr wieder besser ging, und darüber war ich so

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