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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
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froh! Es war, als würde ich sagen: ›Zum Teufel mit dir, Krebs! Dieses Mal gewinnst du nicht!‹ Und das habe ich auch wirklich geglaubt.
    Weißt du, Evelyn ist Mom sehr ähnlich«, fuhr sie, in Erinnerungen versunken, fort. »Nicht im Aussehen, aber in der Art, wie sie redet und handelt und so weiter. Sie macht einem Mut. Ihr gefällt meine Kunst, und ich durfte ihr ganzes Schaufenster einfach nach meinem Geschmack gestalten. Sie schrieb mir nicht vor, was ich zu tun hatte, sondern ließ mich einfach machen.« Fast unmerklich hob Liza die Schultern, als sei sie noch immer erstaunt, dass jemand Vertrauen in ihr Können setzte. Und sie konnte wirklich etwas, das hatte ich selbst gesehen. Wäre es denn so schwer gewesen, ihr das zu sagen?
    »Du hast es wirklich gut gemacht«, sagte ich.
    Ihre Tränen flossen jetzt noch rascher. Sie bildeten eine feuchte Spur von ihren Wimpern bis zum Kinn und tropften auf ihre Jacke. Wo sie auf den schwarzen Stoff trafen, bildeten sich noch dunklere Flecke, wie ein unauslöschliches Zeichen der Trauer.
    »Als Evelyn uns dann am Abend in der Quiltrunde erzählte, dass der Krebs noch immer da ist und sie noch einmal operiert werden muss, da dachte ich …«
    Sie bedeckte die Augen mit den Händen. »Ich kann es nicht … Ich kann das nicht noch einmal durchstehen. Ich ertrage ihre Gegenwart nicht. Es tut einfach zu weh. Ich kann sie nicht ertragen, und dich auch nicht. Ich kann es nicht«, bekräftigte sie noch einmal, während sie die Hände sinken ließ und mich anblickte. Sie hatte jetzt vollkommen die Beherrschung verloren, und die Tränen strömten ihr nur so aus den Augen.
    »Wer bist du eigentlich?«, schluchzte sie. »Auf einmal überschlägst du dich, um Evelyn oder sonst wem zu helfen. Doch als Mom dich brauchte, warst du weit und breit nicht zu sehen. Du hast nie versucht, ihr zu helfen! Nicht ein einziges Mal hast du deine Beziehungen spielen lassen, um meine Mutter zu den besten Ärzten Neuenglands zu bringen – Ärzte, die ihr vielleicht das Leben gerettet hätten! Hast du jemals darüber nachgedacht? Für dein eigen Fleisch und Blut rührst du keinen Finger, aber wenn es um Fremde geht, kannst du gar nicht genug unternehmen? Wieso? Woher kommt dieser erstaunliche Sinneswandel? Ein Schwenken des Zauberstabs, die alte Abigail verschwindet, und puff!, zur allgemeinen Verblüffung erscheint eine nagelneue Abigail. Sie sieht genauso aus wie die alte, nur dass sie komplett neu eingekleidet ist. Das verblüffte Publikum applaudiert begeistert.« Ihre Augen waren auf mich gerichtet, und doch blickte sie durch mich hindurch, als wäre ich ein Geist und bestünde aus bloßem Dunst und fragwürdigen Absichten.
    »Mich kannst du nicht zum Narren halten, Tantchen. Nicht mehr. Du hast nur deine Taktik geändert und einen neuen Weg gefunden, um Eindruck bei den Leuten zu schinden.« Ihre Stimme triefte vor Abscheu.
    »Dir ist Evelyn doch vollkommen egal«, fuhr sie fort. »Du willst bloß, dass dich alle mögen, oder noch besser: bewundern, ohne dass du sie zu nahe an dich heranlassen müsstest. Und das Üble an der Sache ist, dass sie es wirklich tun! Deine schicken Freunde im Ort, diese eleganten Leute, die auf die richtigen Partys gehen und in den richtigen Ausschüssen sitzen, sind verrückt nach dir, weil du etwas besitzt, was sie mehr begehren als alles andere – Stil. In deiner Gegenwart fühlen sie sich klüger und bedeutender, als sie wirklich sind. Aber als ich dich mit Gewalt aus deiner Clique herausholte, als du das Grüppchen der Speichellecker, die dich anhimmeln, verlassen musstest und in eine Welt kamst, wo die Menschen sich nicht von Cocktailpartygeschwätz blenden lassen oder von der Summe auf deinem Bankkonto, da wusstest du nicht mehr weiter. Wie konntest du sie dazu bringen, dich zu mögen? Wahrscheinlich hast du dir darüber den Kopf zerbrochen, stimmt’s, Abigail?«
    Sie hatte unrecht. Evelyn bedeutete mir etwas. Vielleicht war es zu Anfang nicht so gewesen, aber jetzt schon.
    Ohne mir die Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben, redete Liza weiter: »Aber du bist ja nicht dumm. Als du erst einmal herausgefunden hattest, was in dem neuen Club zählt – Dinge wie Freundlichkeit und Großzügigkeit –, hast du dich flugs angepasst. Über Nacht wurdest du plötzlich nett und großzügig, weil sie es so wollten. Du hast sogar angefangen, in die Kirche zu gehen. Was bist du bloß für eine Heuchlerin! Du hältst dich für etwas Besonderes, aber du bist ein

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