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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
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widersprach Abigail schniefend. »Das war nicht bloß eine kleine Kabbelei. Sie war rasend vor Wut. Ich habe ja schon einiges mit ihr erlebt, aber so war sie noch nie. Als sie zur Tür hinausrannte, wusste ich, dass sich nicht zurückkommen würde.«
    Ich hatte, offen gestanden, keine Ahnung, was ich tun sollte. Vielleicht stimmte es, was Abigail sagte, vielleicht aber auch nicht. Doch selbst wenn Liza wirklich nicht wiederkommen wollte, ließ sich nichts daran ändern. Sie war eine erwachsene Frau und konnte selbst entscheiden, ob sie bei ihrer Tante leben wollte oder nicht.
    »Ich verstehe ja, wie schwer das für dich ist«, sagte ich. »Aber Liza ist schließlich volljährig. Ich bin sicher, sie kommt wieder, sobald sie sich beruhigt hat. Und wenn nicht, ist es ihre eigene Entscheidung. Es ist immer schwer, ein Kind ziehen zu lassen, aber manchmal muss es eben sein.«
    »Du verstehst das nicht«, wandte Abigail ein. »Liza kann hier nicht einfach weg. Nicht ohne die Erlaubnis des Richters. Sonst landet sie womöglich im Gefängnis.«
    Margot machte große Augen. »Im Gefängnis? Du meinst, Liza ist auf Bewährung? Das wusste ich ja gar nicht.« Ich auch nicht.
    Abigail biss sich auf die Lippe. Offensichtlich war sie unschlüssig, wie viel sie uns verraten sollte, und bedauerte bereits, dass sie mit der Wahrheit herausgeplatzt war. Endlich sagte sie langsam: »Nein, nicht direkt auf Bewährung. Es ist nur so, dass … nun ja … einige Monate nachdem ihre Mutter gestorben war, beging sie einen schweren Fehler. Und ich erklärte mich bereit, die Verantwortung für sie zu übernehmen. Das heißt, genau genommen übertrug mir der Richter die Verantwortung für sie. Zuerst wollte ich nicht. Vor dem Tag, als ich sie dort im Zimmer von Richter Gulden traf, hatte ich sie praktisch noch nie gesehen. Wenn ich mich hätte drücken können, dann hätte ich es getan. Aber jetzt … ist alles anders. Versteht ihr?«
    Margot und ich blickten einander an. Wir verstanden gar nichts. Margot nahm sich ebenfalls einen Stuhl und ließ sich darauf nieder. »Am besten, du erzählst es uns von Anfang an«, sagte sie mit sanfter Stimme.
    Abigail musste schlucken. Ich sah, wie schwer es ihr fiel. Abigail war es gewohnt, sich nur auf sich selbst zu verlassen, und bis zu diesem Augenblick war sie damit auch hervorragend gefahren.
    Abigail hatte so viele bewundernswerte Eigenschaften. Sie war überaus tüchtig – intelligent, belesen, gut gekleidet, gesellschaftlich gewandt und findig, wenn es darum ging, Probleme zu lösen. Und im Laufe der letzten Monate hatte sie sich in einer Weise weiterentwickelt, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Sie war jetzt großzügiger, sensibler für die Bedürfnisse anderer und infolgedessen, wie es mir schien, auch glücklicher. Dennoch fehlte ihr noch eine wichtige Eigenschaft: die Fähigkeit zu vertrauen. Das fiel ihr offensichtlich immer noch schwer. Was war geschehen, das sie anderen gegenüber so misstrauisch gemacht hatte? Warum wechselte sie so prompt und geschickt das Thema, sobald ich auch nur die unverfänglichste Frage über ihre Vergangenheit stellte? Selbst nach all den Monaten, in denen sie mit uns gearbeitet und Woche für Woche beim Quilten neben uns gesessen hatte, war sie noch immer nicht bereit, sich Margot oder mir anzuvertrauen. Normalerweise gelang es ihr, ihre Gefühle sorgfältig zu verbergen, doch heute schien sie hin- und hergerissen zu sein. Konnte sie uns vertrauen? Sollte sie es denn tun? Sie war sich noch immer nicht sicher.
    Ich beugte mich zu ihr und nahm ihre Hände. »Ist schon gut«, sagte ich leise. »Du kannst es uns erzählen. Wir sind doch Freundinnen, oder etwa nicht?«
    Sie hob den Blick und sah mich lange und forschend an. Dann holte sie tief Luft und antwortete, zögernd zuerst, doch dann mit mehr Überzeugung: »Ja … ja, ich glaube, das sind wir.«
    Im Norden Connecticuts sind die Wintertage kurz, und als Abigail schließlich am Ende ihrer Geschichte angelangt war, brach bereits die Dunkelheit herein.
    Als sie zu erzählen begann, war ich entschlossen, mir meine Empfindungen nicht anmerken zu lassen, damit sich Abigail nicht gehemmt fühlte, doch es fiel mir nicht leicht. Zwar verriet sie uns nicht, was seinerzeit zu dem Zerwürfnis geführt hatte, doch sie sprach über ihr Verhältnis zu ihrer verstorbenen Schwester und damit auch zu Liza. Kein Wunder, dass Liza ihrer Tante so feindselig gegenüberstand. Dann berichtete Abigail, wie Susan an Brustkrebs

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