Die Falken Gottes
Oxenstierna. Hinter einer flachen Mauer, auf der ein mannshohes Eisengitter ungebetene Besucher vom Betreten der Residenz abhalten sollte, lag das dreigeschossige Haupthaus, dessen Bauweise eher schlicht wirkte, das aber bis zur Neutralisierung Osnabrücks und dem Abzug der schwedischen Garnison auch schon dem Statthalter Gustav Gustavson als Wohnsitz zur Verfügung gestanden hatte. Als die meisten der Gesandten mit ihrem Gefolge vor vier Jahren in Osnabrück eingetroffen waren, hatte in der Stadt kein Mangel an leerstehenden Häusern bestanden, wohl aber an repräsentativen Wohnanlagen. Es war kein Geheimnis, daß Johan Oxenstierna sich des öfteren bitterlich darüber beklagt hatte, wie unangemessen dieses Haus seinem Status als Hauptgesandter der schwedischen |52| Regierung war. Oxenstiernas Unmut über sein Quartier wurde einzig dadurch gemildert, daß Johan Adler Salvius, der zweite schwedische Hauptgesandte, in einem noch bescheideneren Haus auf der Domsfreiheit untergekommen war.
Sie nahm beizeiten groteske Züge an, diese offensichtliche Rivalität der beiden Hauptgesandten, die nach Osnabrück geschickt worden waren, um gemeinsam die Angelegenheiten Schwedens bei diesen schwierigen Verhandlungen zu vertreten und die sich vom ersten Tag ihrer Zusammenarbeit an nicht ausstehen konnten.
Magnus wußte aus leidiger Erfahrung, daß die beiden Residenten schwierige Charaktere waren. Salvius, sein Onkel und Förderer, hatte vor dem Kongreß eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der schwedischen Kriegskosten gespielt. Er galt als ein bürgerlicher Karrierist, der bei den Planungen zu den Friedensverhandlungen die Fäden in der Hand gehalten hatte. Oxenstierna hingegen, der ehrgeizige Aristokrat und Sohn des schwedischen Kanzlers, ertrug es nur zähneknirschend, daß Salvius ihm gleichgestellt war, denn insgeheim sah er sich als Leiter der schwedischen Friedenskommission an.
Dieser Standesdünkel war gewiß der ausschlaggebende Grund dafür, daß Oxenstierna bemüht war, seinem Domizil einen pompösen, höfischen Glanz zu verleihen. Er hatte die Zimmer mit Seidengobelins und Tapisserien schmücken lassen und zudem ein 72teiliges silbernes Besteckservice aus Schweden mitgebracht, damit er dieselbe Zahl an Gästen bewirten konnte wie der kaiserliche Gesandte Johann Ludwig Graf von Nassau. Sein Haushalt beschäftigte 144 Berater, Pagen, Köche, Gardisten und andere Bedienstete, die ihm jeden Wunsch erfüllten. Wenn er in der sechsspännigen königlichen Karosse eine Ausfahrt unternahm, begleiteten ihn ein Dutzend Hellebardiere und ebenso viele Lakaien.
|53| Magnus verschnaufte einen Moment vor dem Tor und holte aus seiner Manteltasche ein kleines Leinensäckchen hervor. Er schnürte es auf und schüttete einige Bittermandeln auf seine Hand. Während des anstehenden Gelages mußte er versuchen, einen einigermaßen klaren Kopf zu behalten. Die Bittermandeln konnten die Wirkung des Alkohols zwar nicht völlig neutralisieren, aber sie würden ihm helfen, die zu erwartende Zecherei der nächsten Stunden zu überstehen.
»Habt Ihr ein wenig davon für mich übrig?« erklang eine Stimme hinter ihm, und im nächsten Augenblick drängte sich auch schon der fette Wanst des Justizrates Erland Gyllenhammer gegen seinen Rücken. Magnus begrüßte Gyllenhammer und teilte den Inhalt des Säckchens mit ihm. Magnus konnte schon jetzt einen auffälligen Weindunst in Gyllenhammers Atem riechen. Der Justizrat hatte die Bittermandeln also wohl noch nötiger als er.
»Die verdammten Trompeten haben mich aus meiner Konzentration gerissen«, beschwerte sich Gyllenhammer. »Die Formulierung eines Schriftsatzes über die Ansprüche der Reformierten am Augsburger Religionsfrieden kann einem schnell Kopfschmerzen bereiten. Dummerweise vergaß ich, daß der Graf uns heute an seine Tafel geladen hatte.«
»Die Aufgaben wachsen einem schnell über den Kopf«, erwiderte Magnus und dachte an das abrupt beendete Schäferstündchen mit der Magd Ebba.
Gyllenhammer hielt eine der Bittermandeln vor seine Augen. »Vielleicht sollte man besser auf diese Mittel verzichten. Die cholerischen Ausbrüche des Grafen sind im Grunde nur im Suff zu ertragen.«
Magnus nickte nur. Sie schluckten die Bittermandeln hinunter. Gyllenhammer hatte schon oft derartig abfällige Bemerkungen über Oxenstierna von sich gegeben, aber |54| Magnus wußte, daß der korpulente Justizrat sich stets in einen unterwürfigen schwanzwedelnden Hund verwandelte, sobald ihnen der
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