Die Falken Gottes
schon über die Enge und den Schmutz.«
»Wo wurden die Gesandten und ihr Gefolge denn untergebracht?« wollte Anneke wissen.
»Die Großmächte, deren Gefolge oft aus mehr als einhundert Köpfen besteht, haben zumeist Klöster, Adelshöfe oder Domkurien angemietet, die kleineren Vertretungen der Städte und Reichsstände sind in den einfachen Bürgerhäusern untergekommen. Wenn man bedenkt, daß rund zweitausend Menschen seit Beginn des Kongresses in Münster Quartier bezogen haben, wundert es nicht, daß es dem einen oder anderen zu eng wird.«
Die Kutsche erreichte ein Rondell, und Karl zügelte die Pferde. Ohlin stieg aus und sprach mit einem der Torwächter. Er reichte dem Mann ein Dokument, das dieser bedächtig auseinanderfaltete und so gewissenhaft studierte, als habe er vor, den Inhalt auswendig zu lernen. Dann endlich gab er ein Zeichen, daß sie das Tor passieren durften.
Die Hufe der Pferde klapperten laut über das Pflaster, als sie zwischen den dichten Häuserreihen eine langgestreckte Straße entlangfuhren. Magnus Ohlin reckte seinen Kopf |148| aus dem Fenster und rief dem Kutscher zu: »Bring uns zum Prinzipalmarkt, Karl! Wir werden von dort aus laufen.«
Wie auch schon in Osnabrück versperrten die Karossen der Gesandten oftmals die Straßen, je näher sie dem Stadtkern kamen. Die Kutscher versuchten sich mit lauten Rufen und Flüchen ihren Weg zu bahnen, wodurch schon bald ein babylonisches Sprachengewirr vorherrschte. Hier im Zentrum der Stadt sah Anneke viele Steinhäuser, deren Dächer mit Ziegeln gedeckt waren und nicht mit Stroh wie die meisten Fachwerkbauten am Stadtrand.
Nun endlich stoppte die Kutsche. Ohlin öffnete die Tür. Anneke trat auf die Straße und reckte sich. Sie schaute an einer siebenstöckigen Häuserfront hinauf, wo an dem reichverzierten Giebel eine Löwenskulptur angebracht worden war. Stolz und mächtig thronte das Steintier dort oben, als wolle es über das Haus und seine Bewohner wachen.
Auch die nebenstehenden Häuser erstrahlten in nicht minderer Pracht. Anneke nahm an, daß hier die wohlhabenden Kaufleute lebten. Allerdings tummelten sich auch in dieser Umgebung mehr Hunde und Schweine als Menschen auf der Straße.
Ohlin wies Karl an, Kutsche und Pferde in einem Stall nahe dem Roggenmarkt unterzubringen, und winkte dann Anneke mit sich.
»Komm jetzt! Es ist nicht mehr weit bis zum Jesuitenkolleg.«
»Ich bin müde«, beklagte sich Anneke und streckte ihr Kreuz. »Warum können wir nicht zuerst eine Herberge aufsuchen?«
»Wenn die Dämmerung hereinbricht, werden die Jesuiten keine Besucher mehr empfangen. Also beeile dich!« Mit ausladenden Schritten lief er voran, und Anneke folgte ihm murrend.
|149| Magnus hatte schon fast das Ende des Domplatzes erreicht, als ihm auffiel, daß Anneke zurückgeblieben war. Er wandte sich um und sah sie in der Mitte des Platzes stehen, wo sie den Dom betrachtete.
Er seufzte und fragte sich, warum er mit soviel Ungemach bestraft wurde. Nicht genug, daß er in diese seltsame Verschwörung hineingeraten war und daß noch immer soviel Gift in seinem Körper steckte, daß er von heftigeren Krämpfen geplagt wurde, als er jemals zugegeben hätte – nun mußte er sich auch noch mit dieser störrischen Magd herumplagen, durch deren Trödelei sie womöglich zu spät am Kolleg eintreffen würden, wenn die Tore bereits verschlossen waren.
Er lief auf sie zu und faßte ihren Arm. »Du bist nicht hier in Münster, um Bauwerke zu bestaunen«, schalt er sie und zog sie mit sich. Vom Domplatz aus passierten sie nur noch zwei weitere Straßen, dann hatten sie die weitflächige Anlage der Jesuiten erreicht, die aus einer eigenen Kirche, einem dreistöckigen Schulgebäude sowie einem langgestreckten Kolleg bestand.
Magnus schlug die Glocke am Torhaus an, und sie mußten nicht lange warten, bis ihnen ein junger Ordensbruder öffnete. Magnus nannte ihm seinen Namen und bat darum, zu Pater Gregor Vigan geführt zu werden, um mit dem Geistlichen über einen Mann namens Bernadi zu sprechen. Der Jesuit nickte nur und ließ Magnus und Anneke eintreten. Er führte sie an der Kirche vorbei zum Eingang des Kollegs und von dort in das Refektorium, wo sich an den langen Tischreihen nur einige Scholaren aufhielten, die sich flüsternd unterhielten, beim Eintritt der Gäste kurz aufschauten und sich dann wieder ihren Gesprächen widmeten.
Der junge Mann deutete auf eine freie Bank. »Bitte wartet hier! Ich werde Pater Gregor Eure Bitte mitteilen.«
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