Die Falken Gottes
Küchenmeister hob die Schultern. »Er ist mir des öfteren über den Weg gelaufen, aber ich habe nur selten ein Wort mit ihm gewechselt. Pater Gregor lebt seit etwa einem |157| Jahr hier im Kolleg, er läßt sich jedoch nicht allzu häufig im Refektorium blicken. Ich glaube, niemand weiß so recht, was er hier in Münster treibt. Man spricht davon, daß er ein weitgereister Mann sein soll und daß er unseren Orden an den Höfen in Italien und Frankreich vertreten hat. Zudem soll er ein enger Vertrauter unseres heiligen Vaters sein.«
»Ein Vertrauter des Papstes?« fragte Anneke. Dieser Küchenmeister war ein neugieriger Mann, aber er schien auch sehr geneigt zu sein, das Wissen, das er aufgeschnappt hatte, preiszugeben. Vielleicht war das eine gute Gelegenheit, mehr über diesen Vigan zu erfahren, als Ohlin bislang bekannt war.
»So heißt es.« Der Küchenmeister beugte sich näher zu ihr und raunte: »Man spricht davon, daß ihn der Papst persönlich nach Münster geschickt hat, aber niemand weiß aus welchem Grund.« Sein auffordernder Blick verriet Anneke, daß der Küchenmeister hoffte, daß Anneke ihm diese Frage beantworten oder ihm zumindest weitere Gerüchte zutragen würde. In diesem Punkt mußte sie ihn leider enttäuschen. Bevor sie ihm allerdings sagen konnte, daß sie so gut wie nichts über Pater Gregor und den Auftrag des Papstes wußte, zog eine Gestalt, die das Refektorium betrat, ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich.
Anneke stockte der Atem. Der Mann schaute kurz zu ihr und wandte den Blick dann wieder ab. Sie hoffte, daß er ihr die Überraschung nicht angesehen und – vor allem – daß er sie nicht erkannt hatte. Er verzog keine Miene, durchquerte den Speisesaal und verließ den Raum durch die Tür auf der anderen Seite.
Erinnerte er sich an sie? Wahrscheinlich nicht. Immerhin hatten sie sich damals im Eingang der Monsbach-Schenke nur einen Augenblick lang gegenübergestanden. Sie hingegen hatte das Gesicht des Schiefnasigen nicht vergessen, |158| und in ihrem Kopf tauchten noch einmal die Bilder auf, wie dieser Kerl den Boten im Wald kaltblütig getötet hatte.
»Mädchen, du bist plötzlich blaß wie eine Leiche«, meinte der Küchenmeister, der nach ihrer Hand griff. »Und du fühlst dich auch so kalt an.«
»Wer war dieser Mann?« flüsterte sie ihm zu.
Er stutzte. »Wer denn?«
»Der Kerl, der gerade an uns vorbeigelaufen ist.«
»Niemand aus dem Orden. Ein schwedischer Botenreiter, wenn ich mich nicht irre.«
»Warum hält er sich im Kolleg auf?«
»Er hat hier auf Pater Gregors Wunsch eine Kammer bezogen, wie ich hörte. Es ist nicht unbedingt üblich, daß wir Gäste aufnehmen, aber …«
»Entschuldigt mich«, unterbrach Anneke ihn, sprang auf und folgte dem Schiefnasigen. Kaum war sie durch die Tür getreten, da überlegte sie, ob es nicht besser sei, zuvor Magnus Ohlin über diese unerwartete Begegnung in Kenntnis zu setzen. Er mußte erfahren, daß der Mörder, den sie suchten, sich im Kolleg aufhielt. Doch sie wollte den Mann auch nicht aus den Augen verlieren. Zwar hätte es ihr ein Gefühl der Sicherheit gegeben, ihren Begleiter an ihrer Seite zu wissen, aber bevor sie Ohlin aufsuchte, mußte sie in Erfahrung bringen, in welchem Raum sich der Schiefnasige aufhielt.
Anneke stieg eine Treppe hinauf, die in den ersten Stock führte. Nun sah sie ihn in einigen Schritten Entfernung vor sich auf dem Korridor. Anneke betete zu Gott, daß er sich nicht umdrehen würde.
Er ging einen Korridor entlang, der nach links abzweigte. Anneke verbarg sich hinter der Wand, lugte um die Ecke und beobachtete, wie der Schiefnasige eine Tür öffnete und in einer Kammer verschwand. Sie wartete kurz ab und wollte sich schon umdrehen, als er wieder auf den Korridor trat. Er hatte seinen Mantel abgelegt. Glücklicherweise kam |159| er nicht auf sie zu, sondern schlug die entgegengesetzte Richtung ein.
Und er war gegangen, ohne die Tür abzuschließen.
Anneke mahnte sich zur Vorsicht, doch wie so oft gewann ihre Neugier die Oberhand. Also lief sie rasch auf die Kammertür zu und öffnete sie einen Spalt. Das Zimmer war verlassen. Nach einem kurzen Zögern huschte sie hinein. Es gab hier nur eine Strohschütte mit einer Decke darüber, die als Schlaflager diente, einen Tisch und einen Schemel sowie einen schmucklosen alten Schrank, dessen Holztür zahlreiche Gebrauchsspuren aufwies. Seinen Mantel hatte der Schiefnasige an einen Haken neben die Tür gehängt, und auf dem Tisch entdeckte
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