Die Falken Gottes
anderen Inhaftierten an die Steinwände gekettet worden war, hatte ihn jedes Wort, jedes Stöhnen und schon ein verhaltenes Husten aufschrecken lassen. Es hatte Wochen gedauert, bis er sich an den Verlust der Stille gewöhnt hatte, und noch heute verabscheute er den Lärm, der in seinen Ohren schmerzte.
Dahlgren verschränkte die Hände hinter dem Kopf und hörte die schrille Stimme seiner Vermieterin, die im Hinterhof auf ihren närrischen Sohn einredete. Dieser Bursche von vielleicht zwanzig Jahren gebärdete sich wie ein Kleinkind, sprach schleppend und grinste schief, wann immer Dahlgren ihm über den Weg lief.
Er schenkte dem Simpel kaum Beachtung, und er hielt sich auch von der mageren Wittib fern, in deren Haus er vor einigen Tagen eine Dachkammer bezogen hatte. Er entlohnte sie großzügig für das schlichte Zimmer, denn das Haus der Wittib lag nur wenige Schritte vom Kolleg der Jesuiten entfernt. Von seinem Fenster aus konnte er sogar einen Teil der Kirche und das Schulgebäude überblicken.
Dahlgren atmete entspannt ein und aus. Die Wittib verpaßte ihrem Sohn eine klatschende Ohrfeige, worauf dieser ein klägliches Jaulen anstimmte. Dann war es wieder ruhig auf dem Hof, bis er einige Momente später das Poltern eiliger Schritte vernahm. Jemand stieg die Treppe zu seiner Dachkammer hinauf, und im nächsten Moment schlug eine Faust drängend gegen die Tür.
»Öffnet mir! Rasch!« Dahlgren erkannte Kjell Ekholms Stimme, die sich vor Aufregung fast überschlug. Bedeutete das womöglich, daß der Gast bereits im Kolleg eingetroffen war? Dahlgren hätte dessen Ankunft erst in ein oder zwei Tagen erwartet, aber wenn die Reiter rasch vorangekommen |163| waren, konnten sie gewiß schon heute Münster erreicht haben.
Er erhob sich und ging zur Tür. Kaum hatte er sie aufgeschlossen, drängte auch schon Kjell Ekholm in seine Kammer. Dahlgren fiel auf, daß Ekholm ohne Hut und Mantel auf die Straße gelaufen war. Was, in Gottes Namen, mochte ihn so sehr zur Eile getrieben haben?
»Er ist hier«, rief Ekholm. »Hier in Münster.«
Dahlgren schloß schnell die Tür und ermahnte Ekholm, die Stimme zu senken. Die Wittib war eine neugierige Frau, und wahrscheinlich spitzte sie schon am Treppenabsatz die Ohren.
»Ruhig«, raunte Dahlgren und legte einen Finger vor den Mund. Er wartete einen Moment ab, dann fragte er: »Wovon sprichst du? Wer ist in Münster?«
»Magnus Ohlin.«
»Ohlin? Bist du dir dessen gewiß?«
Ekholm nickte entschlossen. »Sie hat ihn mit seinem Namen angesprochen.«
»Wer? Von wem redest du?«
»Ich habe eine Frau dabei überrascht, wie sie meine Kammer im Kolleg durchstöbert hat. Als ich sie zur Rede stellen wollte, tauchten Ohlin und Vigan auf.«
»Und du bist einfach davongerannt?«
Ekholm kratzte verlegen seinen Hinterkopf. »Ich … ich habe die Frau wohl ein wenig grob behandelt. Darum lief ich fort, bevor sie mich überwältigen konnten.«
»Hast du dort etwas Wichtiges zurückgelassen?«
Ekholm zögerte. Dann sagte er kleinlaut: »In meinem Mantel befand sich die Nachricht, die ich für Euch verschlüsselt habe.«
Dahlgren atmete tief ein, dann schlug er Ekholm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Du Tölpel!«
»Der Brief ist chiffriert, und das Original habe ich verbrannt«, |164| verteidigte sich Ekholm. »Ohne den Schlüssel ist das Papier wertlos für Ohlin.« Er ballte die Hand zur Faust. »Verdammt, Dahlgren, Ihr habt behauptet, Eure Vertraute hätte Ohlin aus dem Weg geschafft. Warum ist er dann hier?«
»Ich weiß es nicht.« Dahlgren rieb angestrengt seine Stirn. »Wir müssen herausfinden, ob Ohlin von dem Gast erfahren hat. Und wir müssen in Erfahrung bringen, wer die Frau ist, die du in der Kammer überrascht hast.«
»Eine Schankmagd.«
Dahlgren schaute überrascht auf. »Du kennst sie?«
»Zunächst wollte es mir nicht einfallen, doch als ich die Straße entlanglief, wußte ich plötzlich wieder, wo ich dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte. Ich bin dem Mädchen in einer Schenke begegnet, die ich nach dem Mord an Sörenstam aufgesucht habe.«
»Könnte sie von der Tat wissen?«
Ekholm hob unschlüssig die Schultern. »Ihre Verbindung zu Ohlin muß einen Grund haben.«
Dahlgren wandte sich um, trat einige Schritte grübelnd in der Kammer auf und ab und setzte sich auf den Schemel. Auf dem Tisch befand sich das Leinenbündel, in dem der Dolch der Falken eingewickelt war. Dahlgren legte seine Hand auf den Stoff. Es war bedauerlich, daß Ekholm sich
Weitere Kostenlose Bücher