Die Falken Gottes
Anneke die Ledertasche, die der Kurier im Wald mit sich geführt hatte.
Wieviel Zeit blieb ihr? Annekes Herz klopfte aufgeregt, aber sie langte dennoch nach der Tasche, klappte sie auf und schaute hinein. Sie war leer.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und der Schiefnasige glotzte sie überrascht an.
»Wer bist du und was tust du hier?« Seine Worte klangen wütend.
Welcher Teufel hat mich nur geritten, diese Kammer zu betreten, haderte Anneke mit ihrer Neugier. Sie brachte kein Wort hervor. Zwar öffnete sie den Mund, doch ihre Zunge war wie gelähmt.
Der Schiefnasige machte einen Schritt auf sie zu. Seine rechte Hand schloß sich um ihren Hals, bevor sie ihm ausweichen konnte. Der Griff war hart und schmerzhaft. Er zog ihren Kopf in seine Richtung, so daß sie seinem zornigen Blick nicht ausweichen konnte.
»Dein Gesicht kenne ich«, stieß er hervor. Er musterte sie aus schmalen Augen, als überlegte er, wo sie sich zuvor begegnet waren.
»Wer bist du?« rief er noch einmal.
|160| Wie hätte sie ihm antworten sollen? Er drückte ihre Kehle so fest zusammen, daß sie nicht einmal ein Krächzen hervorbrachte. Anneke bekam keine Luft mehr und versuchte verzweifelt, ihn von sich zu drängen, doch der kräftige Mann zerrte sie mühelos mit sich und schlug ihren Hinterkopf so hart auf den Tisch, daß Sterne einen wilden Reigen vor ihren Augen tanzten.
»Rede endlich, oder ich prügele es aus dir heraus!«
Anneke sah, wie er die Linke über ihr Gesicht hob, bereit auf sie einzuschlagen. Sie kniff die Augen zu und erwartete einen schrecklichen Schmerz, doch plötzlich vernahm sie weitere Stimmen.
»Sörenstam, was tut Ihr da? Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen?«
»Ich glaube nicht, daß das sein Name ist.«
Die zweite Stimme war Anneke bekannt.
»Herr Ohlin«, keuchte sie, als sich der Griff um ihren Hals lockerte. Sie drehte den Kopf zur Seite und sah Magnus Ohlin und einen Jesuiten in der Tür stehen.
Der Schiefnasige richtete sich auf. »Ihr seid Ohlin?«
»Laßt ab von diesem Mädchen!« wies der Jesuit Annekes Peiniger zurecht. Der Schiefnasige scherte sich nicht um die Worte des alten Mannes. Erst als Ohlin einen Schritt auf ihn zumachte, warf er Anneke zu Boden und stürzte zur Tür. Er packte den dürren Jesuiten und stieß ihn gegen den heraneilenden Ohlin, der nun ins Stolpern geriet. Nachdem Ohlin und der Jesuit sich aufgerappelt hatten, war der Schiefnasige bereits aus der Kammer gestürmt. Ohlin rannte auf den Korridor, doch kehrte schon bald darauf enttäuscht zurück.
»Er ist fort«, sagte der Schwede.
Anneke fühlte sich noch immer benommen. Ihr Hals schmerzte, und sie zitterte am ganzen Körper. Ohlin kam auf sie zu und nahm sie in den Arm. Anneke legte ihren |161| Kopf auf seine Schulter und spürte, wie die lähmende Angst in seiner Nähe langsam dahinschwand.
»Wie mir scheint, habt Ihr die Wahrheit gesprochen, Herr Ohlin«, sagte der Jesuit. »Der Mann hatte etwas zu verbergen.«
»Vielleicht ist es an der Zeit, daß Ihr offener mit mir seid, Pater Gregor«, meinte Ohlin.
»Was meint Ihr?«
»Wer ist der Gast, den Ihr erwartet?«
»Darüber kann ich nicht sprechen. Bei Gott, es ist unmöglich.«
Ohlin seufzte. »Dieser Sörenstam, oder wie auch immer sein Name sein mag, ist in etwas verwickelt, das Euch wie mich betrifft.« Er strich besänftigend über Annekes Haar. »Und wahrscheinlich hält sich noch weiteres Gesindel in Münster auf, das unser und vielleicht auch Euer Leben bedroht.«
Ove Dahlgren lauschte.
Ausgestreckt auf seiner schmalen Bettstatt hielt er die Augen geschlossen und konzentrierte sich auf die Geräusche in seiner Umgebung. Er machte ein entferntes Hundebellen aus, das Gurren einer Taube, die direkt neben seinem Fenster hocken mochte, und das Rauschen der Baumkronen in seiner Umgebung.
Dahlgren hatte gelernt, auf diese Weise seinen Geist zur Ruhe zu bringen, als er so lange Zeit in einer winzigen Zelle im Karzer von Stockholm gefangen gewesen war. Es war ihm mit dieser Methode gelungen, die Einsamkeit aus seinem Kopf zu vertreiben. Die Monate der Isolation, die er in der Finsternis auf einem stinkenden Strohlager ausgestanden hatte, hatten düstere, schwermütige Gedanken heraufbeschworen. Er wußte, daß viele Gefangene unter diesen Umständen ihren Verstand verloren hatten. Seinen Willen |162| aber hatten sie nicht brechen können. Als man ihn zurück in das große Gewölbe gebracht hatte, wo er zusammen mit mehr als dreißig
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