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Die Falken Gottes

Die Falken Gottes

Titel: Die Falken Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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sie für alle Gefahren blind werden läßt.« Ohlin zog eine bittere Miene. »Es ist unglaublich. Kaum jemand in Schweden besitzt Kenntnis von ihrer Reise. Selbst der Kanzler Oxenstierna glaubt, sie habe sich auf einen Landsitz im Norden Schwedens zurückgezogen, um ein Fieber auszukurieren.« Er schlug mit der flachen Hand so kräftig auf den Tisch, daß das Zinngeschirr klirrte. »Stur und unberechenbar, so war sie immer schon.«
    Derart aufgebracht und wütend hatte Anneke Ohlin bislang noch nicht erlebt. Dieser seltsamen Königin war es gelungen, ihn regelrecht in Rage zu bringen, und sie hatte es geschafft, Anneke zu verwirren, denn in ihrem ganzen Leben war sie noch nie einer Person begegnet, bei der es ihr so schwerfiel, diese einem Geschlecht zuzuordnen.
    »Was ist sie?« fragte sie deshalb. »Eine Anomalie? Ein Mißgriff der Natur? Etwa ein Zwitterwesen?«
    »Du solltest sie nicht als Anomalie bezeichnen«, meinte Ohlin und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. »Ihr männliches Auftreten und Gebaren mag ein wenig wunderlich erscheinen, aber sie ist gewiß eine Frau.«
    Anneke blieb skeptisch. Woher wollte Ohlin das so |190| genau wissen? War er der Königin vielleicht doch näher gekommen, als er es zugeben wollte?
    Wahrscheinlich konnte er diesen Gedanken aus ihrem Gesicht ablesen, denn er hob abwehrend die Hände und sagte: »Es ist nicht so, daß ich Christina je ohne Kleidung vor mir gesehen hätte, aber mir wurde von einem durchaus aufschlußreichen Vorfall berichtet, der dir eine Antwort auf deine Frage gibt.«
    »Ach ja?«
    Ohlin nickte. »Vor einigen Jahren wurde Christina während einer Fahrt über eine holprige Straße aus ihrer Kalesche geschleudert. Ihr Rock wirbelte dabei so hoch, daß sie mit entblößtem Geschlecht auf der Straße zu liegen kam. Christina soll über diesen Vorfall aber nur gespottet haben, daß sie nicht böse sei, daß jeder sie so gesehen habe, wie sie von Gott erschaffen wurde, denn nun wüßten die Leute endlich, daß sie keine Mannsperson und auch kein Zwitter sei, so wie es häufig vermutet werde.«
    »Wenn sie also eine Frau ist, warum täuscht sie dann vor, ein Mann zu sein?«
    »Sie ist die Königin von Schweden«, entgegnete Ohlin. »Christina wurde nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters zur Thronfolgerin und damit gewissermaßen zum Eigentum des Staates. Damals war sie erst sechs Jahre alt. Man zog sie wie einen Jungen auf, und Christina gefiel es wohl so sehr, das Gefühl der Minderwertigkeit ihres Geschlechtes abzulegen, daß sie einen unüberwindlichen Widerwillen gegen alles Frauliche entwickelt hat. Zudem ist sie äußerst intelligent und eine gelehrige Schülerin. Keine andere Frau und kaum ein Mann besitzt mehr Wissen über Politik, Staatswissenschaft, Kriegskunst und Geschichte. Und sie spricht mittlerweile neun Sprachen.«
    »Aber trägt sie denn niemals Kleider?« fragte Anneke.
    »Nur zu offiziellen Anlässen. Man merkt ihr an, wie unwohl |191| sie sich zwischen den adligen Damen fühlt, die festgeschnürt, mit üppigen, hervorquellenden Brüsten in ihren wallenden Kleidern stecken und auf ihren hohen Schuhen umherstolzieren. Christina zieht es vor, ihre Zeit mit den Pferden zu verbringen. Sie reitet, schießt und fechtet besser als viele Männer. Das habe ich am eigenen Leib zu spüren bekommen.«
    Anneke bemerkte ein gewisses Funkeln in Ohlins Augen, als er über die Königin sprach. Er bewunderte diese junge Frau, die also nicht nur von ihrer äußeren Erscheinung her wie ein Mann auftrat.
    »Ihr habt mir erzählt, Euer Onkel hätte Euch am schwedischen Hof eingeführt«, sagte Anneke. »Ich hatte angenommen, Ihr hättet Euch nur selten dort aufgehalten, aber wenn man Euch über die Königin reden hört, und sieht, wie sie Euch vorhin begrüßt hat, scheint Ihr ein häufiger Gast am Königshof gewesen zu sein.«
    Ohlin zuckte die Achseln. »Es waren nicht so viele Aufwartungen, wie du vielleicht annimmst, aber ich habe meine Zeit im königlichen Schloß gut genutzt. Es zahlt sich immer aus, Freunde und Vertraute in diesen einflußreichen Kreisen zu gewinnen.«
    »Vor allem, wenn einem die Königin zur Vertrauten wird.«
    »Königin Christina hat schnell einen Narren an mir gefressen, ohne daß ich viel dafür tun mußte«, verriet er mit einem Zwinkern. »Ich habe sie ganz einfach stets wie einen Mann behandelt. Eine direkte Sprache, einige spielerische Herausforderungen, mit denen ich ihren Ehrgeiz angestachelt habe, und dazu viele intensive

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