Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
Plackerer von ihnen wusste? War dies der Grund, weshalb er sich ausgerechnet sie aus all den Reisenden gegriffen hatte? Aber wie konnte das sein? Niemand außer Jan kannte das Versteck, und der hätte sich gewiss eher die Zunge abgebissen, als ein Sterbenswörtchen zu verraten. Hatte man ihren Freund am Ende gar gefoltert? Doch dafür hätte die Zeit nicht gereicht. Schließlich war es noch stockdunkel gewesen, als sie zu ihrer Flucht aufgebrochen waren.
»Wir werden jetzt zu einem Lagerplatz laufen, wo wir für ein paar Stunden ausruhen können«, unterbrach der Plackerer ihre Gedanken. »Danach werde ich dir die Augen verbinden.«
»Welchen Weg?«, rutschte es Margarethe heraus. »Hier sind doch nur Bäume.«
Prompt fing sie sich eine Ohrfeige ein. »Maul halten. Los jetzt und keine Mätzchen. Ich hab dich im Blick.«
Er reichte die Zügel des ermatteten Pferdes seinen Kumpanen, band sich das Ende des Stricks, mit dem Margarethe gefesselt war, um den Bauch und trieb sie mit einem Stock vor sich her.
Nach einer weiteren guten Stunde erreichten sie eine Felswand, in der ein Überhang ein natürliches Dach bildete. Die Stelle war zur Hälfte von Tannen gut verborgen. Ein ideales Versteck.
»Hier werden wir rasten«, erklärte der Ritter und drängte Margarethe zu dem Felsvorsprung, während der Führer eine Decke ausbreitete. »Leg dich hin. Du sollst dich ausruhen, doch ich werde deine Beine zusammenbinden. Nicht, dass du mir noch davonläufst.«
Ohne eine Antwort zu geben, sackte Margarethe auf dem Lager nieder. Widerstandslos ließ sie es zu, dass der Ritter ihre Knöchel packte und Lederriemen darum schlang. Ihre Enden führte er durch ihre Handfesseln und zog alles so fest, dass Margarethe sich nicht erheben konnte. Die Hofdame schloss die Augen. Obwohl die Kälte durch die Decke drang, dämmerte sie schon nach kurzer Zeit weg. Das Geräusch malmender Pferdezähne und der Geruch von Tannennadeln durchdrangen ihren Halbschlaf. Das Tier schien nicht weniger hungrig zu sein als sie, aber es hatte wenigstens ein paar frische Triebe, um seinen Magen zu füllen.
Trine bemerkte Margarethes Fehlen gleich nach dem Aufwachen. Das Bett ihrer Herrin war leer. Zunächst dachte die Zofe, Margarethe wäre nur zum Abtritt gegangen. Sie reckte sich gemächlich, dann begann sie, ihr Bündel zu schnüren. Die Zeit verging. Es war alles längst gepackt, aber Margarethe kam nicht wieder zurück. Nun wurde Trine unruhig. Sie beschloss nachzusehen, wo ihre Herrin geblieben war, und kletterte die Stiege hinunter.
Im Gasthaus war es ungewöhnlich still. Nicht einmal in der Küche regte sich Leben. Trine schaute in die Gaststube, die menschenleer war. Langsam wurde es der Zofe mulmig. Wo waren der Wirt und seine Schankmagd? Konnte es sein, dass sie wirklich noch schliefen? Das ungute Gefühl in ihrer Magengrube verstärkte sich. Trine trat auf den Hof. Auch hier war alles wie ausgestorben, und auf dem Abtritt war auch niemand. Sofort hastete die Zofe zurück ins Gasthaus und die Stiege hinauf. Ihre Kammer war immer noch verwaist. Weder Margarethe noch sonst jemand begegneten ihr. Mit wehenden Zöpfen eilte sie den Flur entlang und hämmerte an die Tür von Herrn Sedlics Schlafstube.
Der öffnete ihr verschlafen, aber mit dem Schwert in der Hand. »Was ist denn los?«, wollte er wissen und rieb sich die hellblauen Augen.
»Herr, es muss etwas passiert sein«, berichtete Trine atemlos. »Ich kann Frau Margarethe nirgendwo finden, und auch sonst scheint niemand hier zu sein.«
Der Böhme packte sie an den Oberarmen und schüttelte sie. »Was sagst du da?«
»Sie ist weg, verschwunden. Ich hab schon überall gesucht.«
»Aber das kann nicht sein«, flüsterte Jan. »Sie war doch heute Nacht noch …«
Trine sah ihn mit merkwürdigem Gesichtsausdruck an.
Der Ritter räusperte sich. »Sie wollte sich einen heißen Ziegel holen, weil ihr so kalt war, und ich wurde vom Knarren der Dielen wach.« Dann schloss er den Mund wieder. Was tat er da eigentlich? Erklärte er sich etwa gerade einer Zofe? Jan schluckte und streckte sich, dann sagte er: »Geh zum Stall, und hol meine Männer! Sie sollen sofort zu mir kommen.« Er ließ Trine stehen und knallte die Tür zu.
Trine hastete erneut über den Hof zu dem Verschlag, in dem die Pferde standen. Das Holztor quietschte laut, als sie es öffnete. Ein breiter Streifen Tageslicht fiel in das Gebäude. Hektisch spähte die Zofe umher.
»Hallo, ist da jemand?«, rief sie ängstlich. Die
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