Die falsche Frau
folgend. »Ich werde da sein.«
9
E S WAR KURZ NACH ZEHN .
Semir Aydin hatte inzwischen herumtelefoniert, versucht, Irenes Eltern, die unter Schock standen, auszuhorchen und Nachbarn befragt. Er hatte Stammfreier ausfindig gemacht und sogar mit diversen Bordellbesitzern gesprochen. Weit war er aber nicht gekommen. Niemand schien die Frau näher zu kennen. Wie sollte er sich so ein Bild machen? Die Huren, die regelmäßig im Hotel Orient verkehrten, waren allerdings ziemlich aufgebracht, als ihr Name fiel. Der Name Irene Orlinger war für sie ein regelrechtes Reizwort. Sie wussten nicht genau, woher sie kam, wer sie eingeschleust hatte und warum sie nur zweimal pro Woche zur Arbeit kam. Nach ihren Angaben eine Außenseiterin, die bestzahlende Kunden der High society abschleppte und auf edel machte. Mehr war nicht rauszukriegen.
Die Besucher dagegen waren redseliger. Einige gaben übereinstimmend an, Irene Orlinger am Abend vor dem Mord zusammen mit einem Mann gesehen zu haben, der dort bisher nie aufgefallen war und den sie sich gerade deshalb gemerkt hatten.
Kurzgeschorenes Haar, groß, kräftig, Mitte dreißig. Markantes Gesicht.
Semir ließ sofort ein Phantombild anfertigen. Wenig später lag ein ernstes Gesicht auf seinem Schreibtisch.
Guter Typ, dachte er, wandte sich ab, um das Foto vom Gesicht der Leiche zu vergrößern, und gab Abzüge und Phantombild an die Medien weiter.
Das Gesicht von Irene war ein Statement und würde in Kürze an allen Kiosken zu sehen sein.
Fasziniert von der Vollkommenheit der Toten, eine Art Triumph über die Gewalt, die man ihr angetan hatte, starrte Semir auf das Foto. Irgendetwas in ihm wollte, dass man die Sache auf sich beruhen ließ, vielleicht um das Bild zu erhalten, das der Mörder von dieser Frau entworfen hatte.
»Denken Sie daran, noch diese Putzfrau zu vernehmen, am besten gleich heute Vormittag. Hören Sie?«
Bruno Karlich war ins Zimmer gekommen, Semir hatte ihn nicht gleich bemerkt.
»Wird gemacht Chef«, sagte er. »Wird gemacht.«
Das Telefon läutete.
»Hallo?«, sagte Semir abwesend.
Vera Kirchner. Ob er diesmal zur Probe käme.
Er sagte ja. Danach nein. Dann wieder ja.
Semir hatte keine Lust auf Musik. Die Jazzband, in der er Gitarre spielte und in der Vera sang, interessierte ihn nicht. Er dachte an Irene. An diesen merkwürdigen Mord.
»Hallo«, rief Vera in den Hörer. »Kriegst du überhaupt noch was mit?«
Bis Semir so richtig begriff, ging Zeit ins Land. Vera wollte, dass er sie in die Pathologie schleuste, ausnahmsweise. Sie sei wieder mal völlig pleite und bräuchte eine blutrünstige Geschichte.
»So was geht normal nicht«, sagte Semir, legte auf, kritzelte aber handschriftlich eine Nachricht für die Pathologie und drückte dann einen Polizeistempel auf das Blatt. Er wollte schneller sein als Rosen.
Mechanisch sah er die Aktennotizen durch, gab den Laborbericht in Auftrag, machte einen Termin mit der Leiterin der Putzkolonne und vereinbarte für Karlich die üblichen Gespräche mit dem Gerichtsmediziner der Pathologie.
Routinearbeit.
Mit den Kleidern der Toten hatte er eine Weile zu tun. Die Hose in Schlangenmuster, die die Frau trug, war kein Markenstück, irgendeine Ware aus einem Billigladen. Ihr T-Shirt stammte von einem französischen Hersteller. Der Samtmantel und die Handtasche schienen aus Wien zu sein. Ihre Stiefeletten aus gegerbtem Nubukleder sahen teuer aus.
Dann fiel sein Blick auf die Rose, eine klassische, langstielige rote Rose. Sollte sich diese Therapeutin doch den Kopf darüber zerbrechen. Es gefiel es ihm gar nicht, dass sie in Dingen herumschnüffelte, die sie nichts angingen. Was soll’s, Karlich hatte sie angeheuert, und Karlich war der Chef. Freunderlwirtschaft, und so was hasste er.
Semir sah sich im Zimmer um.
Ein jüngerer Kollege saß mit einer Lupe über Bilder geneigt, die er im Detail studierte. »Lecker, nicht?«, rief er und hielt das Foto, auf dem die Würgemale ganz deutlich zu sehen waren, in die Höhe. »Alles Hochglanz.«
»Lass das«, sagte Semir.
»Ist dir der Alte aufs Dach gestiegen«, fragte der andere.
»Du meinst Karlich?«
»Wen sonst.«
Semir nahm sich eine Tasse Kaffee, ging auf seinen Platz zurück und versuchte nachzudenken. Aber ohne Zigaretten?
Er wühlte seinen Schreibtisch durch, konnte aber keine finden.
»Ist vertrackt, echt kompliziert, diese Geschichte«, sagte er.
»Kann doch sein, dass wieder die Russenmafia dahinter steckt. Die lassen doch immer mal Leute
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