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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Mackowski
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übernommen.
    Wolowiec, der sich äußerst selbstsicher und verbindlich gab – sogar das Lächeln, das er jetzt Sarah zuwarf, wirkte natürlich, seine Bewegungen fließender als früher –, wanderte mit seinen blassen Fingern über das Kinn. Bartstoppeln bedeckten Gesicht und Wange, diese Bartstoppeln kamen näher, immer näher. Warum ängstigte sie das?
    »Herrgott, jetzt sagen Sie mir schon, was Sie hier zu suchen hatten?«, platzte Sarah los und beobachtete, wie Wolowiec in aller Seelenruhe in die Kitteltasche des Kollegen griff und einen Stauschlauch herauszog. Der Arzt, der dabei war, den jungen Mann zu untersuchen, hatte ihn nicht bemerkt. Nur eine Schwester, die sich über ihren Ton beschwerte, warf ihr einen eisigen Blick zu.
    »Das gehört in die mikrobiologische Abteilung«, flüsterte Wolowiec und schob sie in Richtung Tür. »Auf diese Weise habe ich schon etliche Dinger gesammelt, und wie wir jetzt schon wissen, weisen alle Fundstücke sichtbare Blutspritzer auf. Unter Garantie sind die Schläuche von einem dichten Rasen verschiedenster Hautkeime überwuchert, darunter auch üble Erreger wie Pseudomonas aeruginosa, der gefürchtete Blutvergiftungen auslösen kann, und Enterococcus faecalis, ein Verursacher von Harnwegsinfekten und Bauchfellentzündungen. All diese schmuddeligen Instrumente müssen vor dem Hintergrund einer äußerst prekären hygienischen Situation gesehen werden.«
    Sarah Rosen hatte Mühe zu begreifen, war ihm aber, ohne dass sie es wusste, auf den Gang gefolgt.
    »Sie wollen mir also klar machen, dass Sie sich hier rumtreiben, um den Ärzten heimlich ihre Instrumente abzuknöpfen?«
    Wolowiec nickte.
    »Im Dienste der Hygiene?«
    Wolowiec nickte wieder.
    »Frau Doktor Rosen, schon der britische Chirurg Mark Clover legte so ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag. Anstatt im Operationssaal des Kent and Canterbury Hospital das Skalpell in die Körper seiner Patienten zu senken, tat er dasselbe wie ich. Er griff in die Kitteltaschen der Kollegen und sammelte diese Schläuche hier.«
    Wolowiec war drauf und dran, ihr seine Beute zu präsentieren.
    »Bitte nicht!«, rief Sarah.
     
    Draußen, zwischen Kinderstation und der Abteilung für Augenkrankheiten, fuhr Wolowiec fort: »Clovers besonderes Interesse galt den Stauschläuchen, flexiblen Gewebebändern, mit denen Mediziner die Adern am Oberarm für eine Blutabnahme stauen. Das Hilfsmittel gehört neben Kugelschreiber und Stethoskop zur Standardausstattung jedes praktizierenden Arztes.«
    Sarah Rosen staunte. Keine Frage, Wolowiec klang überzeugend. Er hielt ihr höflich die Türen auf und bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit, die verblüffend war. Schon möglich, dass ihm seine Arbeit als Hygieniker Stabilität und Struktur verlieh: der ideale Beruf für einen Neurotiker wie Wolowiec.
    Menschen wie er, die kaum mehr das Haus verließen aus Sorge, sich mit einer tödlichen Krankheit anzustecken, gab es zur Genüge. Aber Wolowiec war der einzige, der daraus einen Beruf machte.
    Während der Analyse war sie endlosen Erzählungen über seine Schwester gefolgt. Ilse, das einzige weibliche Wesen, das er vergötterte und aufs innigste liebte. Verschmäht von einer gewalttätigen Mutter, die ihn im Badezimmer dabei ertappt hatte, wie er auf Knien, nur mit Mamas Unterrock und BH bekleidet, die nackten Schenkel seiner Schwester geküsst hatte, war Erwin Wolowiec lange Zeit nicht in der Lage gewesen, einem geregelten Beruf nachzugehen, geschweige eine Beziehung zu haben. Keine war wie Ilse, alle böse wie die Mutter.
    Über Monate hatte er Sarah in die Rolle der strafenden Mutter gedrängt und war hasserfüllt zu den Sitzungen erschienen. Später, als er sich nicht mehr für seine Neigung schämte, sah er sie als Auserwählte, stellte sie auf eine Stufe mit seiner Schwester und brachte sogar kleine Geschenke mit.
    Wäre Sarah Rosen beim Anblick einer neuen Serie Erfrischungstücher, die ihr Wolowiec eines Tages feierlich überreicht hatte, nicht in ein kleines, unverschämtes Lachen ausgebrochen, was das abrupte Ende ihrer Arbeit bedeutet hatte, würde sie ihrem Patienten heute wahrscheinlich entspannter begegnen. Nun, Wolowiec hatte sich anscheinend bestens eingerichtet, sein neues Leben lief in geregelten Bahnen.
    »Tee?«, fragte er, öffnete die Tür seines Arbeitszimmers und ließ sie vorgehen. »Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?« Räucherstäbchenphilosophie, dachte Sarah Rosen, eingenebelt von fernöstlichem Duft, der aus

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