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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Mackowski
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tastende Brutalität, die ihr den Verstand rauben wollte. Sie hatte immer schon sexuelle Fantasien gehabt, verdammt gute sogar, aber was sie eben geträumt hatte, war anders, und es machte ihr Angst. Halb wach schlug sie die Augen auf. Ein Kuss hinter Glas? Was bedeutete das?
    Sarah sah eine Gestalt aus dem Zimmer gehen und mit einer Tasse dampfenden Kaffee zurückkehren.
    »Georg?«
    Nicht zu fassen.
    Die Sonne schien hell in ihr Zimmer.
    »Räucherlachs, Frischkäse, Kapern?«, fragte ihr Freund.
    Sarah warf ihm nur einen irritierten Blick zu. Dann schüttelte sie den Kopf.
    »Was war denn?«
    »Das AKH hat angerufen«, sagte Georg. »Willst du zurückrufen?«
    Sarah nickte. Er reichte ihr das Telefon, sie wählte die Nummer vom Krankenhaus.
    Zuerst hörte sie ein Räuspern, dann die gedrückte Stimme einer Krankenschwester, die von einem Patienten sprach, der angab, Opfer eines satanistischen Rituals geworden zu sein, und jetzt damit drohte, alle umzubringen, die sich ihm näherten.
    »Ich komme«, sagte Sarah, die vollkommen vergessen hatte, dass sie heute Notdienst auf der Panikambulanz hatte.
    Ihr Gehirn, das seit François längst nicht mehr trennscharf arbeitete, kam langsam wieder in Gang. Der Mann in der Ambulanz, die sie gerade verständigt hatte, war in sicheren Händen.
    Was aber war mit François? Was, wenn ihr dieser Legionär nur eine Lügengeschichte aufgetischt hatte?
    »Bestellst mir schon mal ein Taxi?«, rief sie Georg zu und warf wütend das American Journal of Psychoanalysis, das sie auf ihrem Nachttisch liegen sah, durchs Zimmer. Sie war also auf diesen Mann hinter Glas abgefahren, das war doch nicht etwa die Fantasy-Version ihres männlichen alter ego?
    Sarah nahm ein Burberry-Kostüm aus dem Schrank, ertappte sich dabei, wie sie die Notfalltasten auf ihrem Telefon kontrollierte und fühlte, dass ihre Haut vor Anspannung kribbelte. Selbstanalyse hat eben ihre Grenzen. Wie gut war eigentlich Freud damit zurande gekommen? Sollte sie vielleicht in Supervision gehen? Erinnerungen an die eigene Lehranalyse gingen ihr durch den Kopf. Das Thema Freundschaft, dachte sie, war eigentlich nie aufgekommen, und schon damals hatte ihr eine gute Freundin gefehlt. Ja, sie brauchte dringend eine Freundin, doch außer Julieta, mit der sie von Zeit zu Zeit eine Tasse Tee trank und über Nichtigkeiten sprach, war keine Frau für sie da.
    Es läutete.
    Das Taxi, sagte sie erleichtert, hauchte Georg einen Kuss auf die Wange, und schon nach wenigen Sekunden hatte ihr auf Effizienz und Disziplin getrimmtes Gehirn wieder Oberhand gewonnen. Was sollte sie sich auch von einem Mann aus der Fassung bringen lassen, mit dem nichts, aber auch gar nichts gelaufen war? Andererseits hatte sie dieser Traum so durcheinander gebracht, dass sie unbedingt wissen wollte, was er zu bedeuten hätte. Irgendeine Untiefe, dieses Gefühl, völlig ausgeliefert zu sein, seinen Blicken, seinen klauenartigen Händen, was waren das nur für Wünsche?
    Doch für Grübelattacken blieb zum Glück keine Zeit.
    Der Fahrer, der alle Tempolimits durchbrach, schoss auf Schleichwegen in den neunten Bezirk. Nach ihrer Uhr zu urteilen, waren sie schon fünf Minuten unterwegs.
    »Schneller«, befahl sie dem Fahrer.
    »Und hier langsam!«, sagte sie kurz vor dem Ziel, als das Taxi mit quietschenden Bremsen in die Einfahrt des AKH einbog.
    Der Fahrer machte eine Handbewegung, als würde er sie für meschugge halten.
    »Halten Sie«, sagte Sarah.
    Dann drückte sie dem Fahrer Geld in die Hand und lief auf die Klinik zu.
     
    Es war still in der Ambulanz.
    Gedämpftes Tageslicht fiel durch die vergilbten Vorhänge. Nur das Klacken eines großen Sekundenzeigers. Die alte Wanduhr.
    »Da sind Sie ja endlich!«
    Ein junger Pfleger kam auf den Gang gestürzt. »Wir haben den Mann vorsichtshalber auf Station gebracht. Zimmer drei!«, sagte er vorwurfsvoll.
    »In Ordnung!«
    Sarah Rosen murmelte eine Entschuldigung und lief so schnell sie konnte in das Bettenhaus ein Stockwerk höher. Die Leute taten, als würde das Schicksal eines psychisch gestörten Menschen allein von ihr abhängen. Was sollte das? Einmal in ihrem Leben war sie zu spät gekommen, na und?
    Völlig abgehetzt öffnete sie die Tür zum Treppenhaus. Dann zögerte sie, hörte Schritte. Große Schritte. Natürlich, dachte Sarah Rosen. Ich bin ja nicht die Einzige hier. Andererseits kannte sie keinen, der zu Fuß lief, die meisten benutzten den Lift, auch wenn sie nur ins nächste Stockwerk wollten.

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