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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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auf. Du bist wirklich meine Sonne in dieser Zeit, die für mich nicht immer leicht ist, und ich kann Dir das sagen und weiß, dass Du das nicht ausnutzen wirst. Mit Deinem Brief hast Du mich an Deinem Leben teilnehmen lassen, an Deinen Gedanken und Gefühlen (natürlich nicht an allen, das versteht sich). Das ist etwas ganz Schönes für einen Vater, jedenfalls für mich als Vater und als Dein Freund; das möchte ich nämlich auch sein. Wie bekommst Du übrigens so viel auf eine Postkarte?
    Petersburg war wirklich ein Erlebnis. Von uns aus gesehen, ist die Stadt ziemlich weit im Osten, aber für das riesige Russland ist es eine Art westlicher Metropole und das Tor zum Westen; als solches hat Peter der Große die Stadt vor fast 300 Jahren gegründet. Dieser Peter war übrigens als Mensch ein ziemlich hemmungsloser und grausamer Typ. Zu seinen vielen Missetaten gehört z.B. das Foltern und eigenhändige Erdrosseln des eigenen Sohnes, der weder ins Kloster noch auf den Thron wollte. Solche Monster wie Peter gab es damals aber viele unter den Herrschern (nicht nur in Russland). Das ist übrigens ein starkes Argument für Demokratie, dass dort ein Einzelner niemals eine solche Macht erlangen kann, sondern kontrolliert wird und sich Wahlen unterwerfen muss. [ … ] Alles ist viel ärmer als bei uns – nicht erst seit kürzlich, sondern seit 1000 Jahren –, und man heute den Eindruck, die Übel des alten, sogenannten kommunistischen Systems sind mit einem brutalen Raubtier-Kapitalismus, dessen Grenze zur Kriminalität fließend ist, unheilvoll verknüpft.« Vater, Freund, Historiker, Kapitalismuskritiker, Utopist, Demokrat, Aufklärer, Aktivist, alles drin in diesem langen Brief, den ich nur auszugsweise zitiere. Die Tochter, das ist klar, muss sich den Vater teilen mit den anderen Lebensrollen, die der Vater nicht spielt, sondern ernsthaft lebt.
    Die andere Briefpassage stammt von Peter von Oertzen. Der Politologe war 1946 in die SPD eingetreten und 2005 wegen des »wirtschaftsliberalen« Kurses der Schröder-Regierung aus der Partei ausgetreten. 1959 hatte er zu den Abweichlern gehört, die das Godesberger Programm ablehnten. Sein Motto »Je demokratischer, desto linker« mag auch ein Satz sein, dem Peter Brandt sich anschließt. Ich habe viele Briefe an Peter Brandt gelesen, und oftmals bedanken sich die Briefeschreiber für aufmunternde oder trostspendende Zeilen. Ganz offenbar ist Peter Brandt ein empathischer Mensch. Was Peter von Oertzen hier am 28. August 1989 an ihn schreibt, kann vielleicht auch als biographisches Muster von Peter Brandt betrachtet werden: »Außerdem danke ich Dir sehr herzlich für Deine persönlichen und persönlich-politischen Worte. Sie haben mir – ich sage es ganz offen – sehr wohlgetan. Mein ganzes Leben habe ich zwischen Baum und Borke verbracht: Zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen SPD und unabhängigem Linkssozialismus, zwischen einem aufzehrenden politisch-beruflichen Alltag und den Versäumnissen meines privaten Lebens. Nichts davon habe ich wirklich genug und gut gemacht. [ … ] Da sind dann Bemerkungen wie die Deinen so was wie Öl auf ein manchmal ein wenig wundgescheuertes Gemüt. Sie zeigen mir, dass ich zwar aufs Große gesehen erfolglos gewesen bin, aber doch nicht umsonst gelebt habe.«

Peter Brandt und seine Tochter Karoline Brandt, etwa 1987.
[Peter Brandt/privat]
    Die Zeit vergeht. Peter von Oertzen ist vor Jahren verstorben, die rot-grüne Regierung ist Geschichte, die christsoziale Kanzlerin regiert mit kühlem Herz und wird manchmal mit einer Sozialdemokratin verwechselt, der flexible Mensch soll immer noch flexibler werden, mysteriöse Märkte verwandeln die Idee eines geeinten Europas in eine Landschaft mit Trümmern, und der Kanzlerkandidat der SPD heißt Peer Steinbrück und sieht aus wie ein Banker.
    Peter Brandt geht nächstes Jahr in Ruhestand. Im Oktober 2013 feiert er seinen fünfundsechzigsten Geburtstag, Karoline wird im selben Monat 30 und Willy Brandt wäre im Dezember 100 Jahre alt geworden.
    Je älter man wird, desto häufiger spricht man am Grab von Freunden. Peter Brandt steht nun in der Pflicht. Er ist ein einfühlsamer Redner, auch weil er Schatten zur Sprache bringt. Bei der Trauerfeier des Wirtschaftswissenschaftlers und Politikers Claus Noé sagt er: »Die brutale Gewalt des Todes ist schwer zu ertragen. Ist es, jenseits religiöser Gewissheiten, ein Trost, das eigene Leben als Bestandteil jenes Kontinuums zu verstehen, das

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