Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Darstellungs- und Gestaltungsfragen zu diskutieren. Endlich, im Januar 1973, scheint das Porträt fertig zu sein, der Maler schreibt an den Außenminister Walter Scheel, der sich zuvor telefonisch bei Meistermann nach dem Fortgang der Arbeit erkundigt hatte: »Die außerordentlich komplexe Persönlichkeit dieses großartigen Mannes und ihre fast unauslotbaren Hintergründe gaben da allerhand Probleme auf.« Meistermanns Brief an Scheel liest sich untergründig wie eine Kapitulationserklärung, da er eher die Schwierigkeiten der Arbeit als ihr Gelingen betont. Und auch Reinhard Wilke spürt, dass Brandt kaum zu enträtseln ist. In seinem Buch »Meine Jahre mit Willy Brandt« beschreibt er, wie er die Begegnung mit dem vollendeten Bild erlebt: »Mittags bin ich zum Reibekuchenessen bei Professor Meistermann in Köln. Er zeigt mir sein Brandt-Portrait. Ein hintergründiges, provokatives, subtil gemaltes Bild, fast ohne jede ›Ähnlichkeit‹ mit dem Original. Die Augen sind rote Abgründe, der Mund ist ein harter Strich, wenn man das Bild von weitem sieht, von nahem wirkt er weich. Meistermann hat […] sich mit Brandt identifiziert und an seiner Unnahbarkeit gelitten. Ich sitze lange davor und bekomme schließlich einen Zipfel zu fassen. Plötzlich lacht das Gesicht uns aus: Ihr werdet mich doch nicht fassen!« Meistermann hat das Bild »Farbige Notizen zur Biographie des Bundeskanzlers Brandt 1969 – 1973« genannt, ein sperrig-stolzer Titel, der einerseits die Vorläufigkeit des Versuchs beschreibt, andererseits den tiefschürfenden Erkenntnis- und Gestaltungswillen herausstellt. Schließlich, so Meistermann, habe er nicht nur die »variablen Konturen seiner Person« fixieren, sondern auch das »Milieu« eines Demokraten einfangen wollen. Im August 1973 ist es schließlich so weit: Brandt selbst soll das fertige Bild in Augenschein nehmen. Meistermann lässt ihn am 2. August 1973 brieflich wissen: »Ein bisschen Herzklopfen habe ich schon – bei Schauspielern (vielleicht auch bei Politikern?) nennt man das Lampenfieber – bei dem Gedanken, Ihnen Ihr Konterfei vorzuführen.« Und er bittet den Kanzler dringlich, er möge doch ein bisschen Zeit mitbringen, da er einige »Erläuterungen geben müsste«. Brandt lässt sich darauf ein, zusammen mit Rut besucht er Meistermanns heimisches Atelier in Köln. Er zeigt sich beeindruckt, doch er sagt wenig, das ist nicht seine Art. Er schweigt sein Bild lange an, setzt sich davor, kneift die Augen zusammen und versucht, sich selbst oder zumindest den fremden Blick auf sein Selbst zu entdecken. Beim Abendessen ist Brandt in sich gekehrt.
Um das Bild entbrennt eine öffentliche Kontroverse. Meistermann sieht sich als Opfer politischer Ränke, fühlt sich »verfemt«, ausgegrenzt. Bereits bevor das Bild der Öffentlichkeit bekannt wird, schreibt er am 30. November 1972 an den SPD-Bundestagsabgeordneten Fritz Corterier, dass er schon jetzt als »SPD-Hofmaler« verschrien sei, dass die Kirche ihn ablehne, obgleich er als bedeutender Kirchenfenstermaler bislang ein »Aushängeschild« der Kirche gewesen sei, dass der Kunsthandel ihn boykottiere und Museen nichts mehr von ihm wissen wollten. Selbst wenn man annimmt, dass Meistermann das Maß der Ablehnung aus taktischen Gründen übertreibt, ist die Feindseligkeit und das Unverständnis, die dem Bild entgegenschlagen, unübersehbar. Das »Zeit-Magazin« fragt im September 1973 auf seinem Cover »Ist das wirklich Willy Brandt?« und verengt allein durch diese Fragestellung das Gemälde und seine Rezeption auf den Aspekt vordergründiger Ähnlichkeit. Zwar finden sich auch prominente Befürworter des Bildes wie Heinrich Böll, aber eine Vielzahl von ablehnenden bis gehässigen Stimmen werden laut. Man will statt Brandt einen »Neandertaler« oder gar »Hitler« erkannt haben, und die Hand des Kanzlers sei »conterganhaft« verkrüppelt. Unmittelbar nachdem das »Zeit-Magazin« die provozierende Frage aufgeworfen hat, schreibt der bekannte Bonner Journalist Walter Henkels am 27. September 1973 an Meistermann: »Ist das wirklich Willy Brandt? Ja, das ist Willy Brandt, ich möchte es spontan sagen. Die ›blinden‹ Augen! Er sieht es nicht: Seine Gutmütigkeit nehmen zu viele zum Anlaß, sie auszunutzen.«
Bin ich das? Willy Brandt vor dem umstrittenen Porträt von Georg Meistermann
[BArch, B145 Bild-00010598, Ulrich Wienke/Georg-Meister-mann-Nachlassverwaltung. Dr. J. M. Calleen/VG Bild-Kunst, Bonn 2013]
Befremdlicher als
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