Die Farbe der Gier
schoben. Die erste Gruppe kam um sechs Uhr früh, die zweite um 14 Uhr und die Nachtschicht um 22 Uhr.
Während einer langen, schlaflosen Nacht fand die Krantz heraus, dass die sechs Wachen der Nachtschicht das Gefühl hatten, den Kürzeren gezogen zu haben. Einer von ihnen war schlichtweg faul und verschlief die halbe Nacht. Ein anderer schlich sich immer fort, um auf der Feuertreppe eine Zigarette zu rauchen – im Krankenhaus selbst war das Rauchen untersagt.
Der Dritte war ein Weiberheld, der glaubte, er sei auf die Erde entsandt worden, um Frauen zu beglücken. Er war nie mehr als ein paar Schritte von den Krankenschwestern entfernt. Der Vierte verbrachte die meiste Zeit mit Jammern darüber, wie viel oder besser wie wenig man ihm bezahlte, und über die Kunstfertigkeit seiner Frau, sein Geld noch vor dem Ende jeder Woche auf den Kopf zu hauen. Die Krantz wusste, dass sie dieses Problem in den Griff kriegen konnte, wenn sie nur die 314
Chance dazu erhielt. Die anderen beiden Wachen waren älter und erinnerten sich aus der Zeit des früheren Regimes nur zu gut an sie. Beide wären überglücklich gewesen, sie zu erschießen, wenn sie auch nur den Kopf vom Kissen hob.
Aber selbst diese beiden hatten ein Anrecht auf eine Pause.
Jack frühstückte Eier mit Schinken, Pilzen und Tomaten, gefolgt von Toast, englischer Marmelade und Kaffee.
»Nach einer so schlimmen Erfahrung müssen Sie hungrig sein«, meinte Arabella.
»Ohne Tom würde ich jetzt wahrscheinlich Gefängnisrationen bekommen.«
»Ich fürchte, das ist meine Schuld«, sagte Anna. »Ich habe mit dem Finger auf Sie gezeigt.« Sie grinste.
»Stimmt nicht«, warf Tom ein. »Sie müssen Arabella für die Verhaftung von Jack danken – aber auch für seine Freilassung.«
»Nein, ich kann unmöglich das ganze Lob für mich
beanspruchen.« Arabella streichelte einen der Hunde, die neben ihr saßen.
»Ich gebe zu, ich habe Jack verhaften lassen, aber es war Ihr Botschafter, der ihn – wie sagt man dazu in Amerika? – der ihn
›rausgeholt‹ hat.«
»Eins verstehe ich immer noch nicht, auch wenn uns Tom schon einiges erklärt hat«, sagte Anna. »Warum haben Sie mich bis nach Wentworth verfolgt, obwohl Sie davon überzeugt waren, dass ich das Gemälde nicht mehr bei mir hatte?«
»Weil ich dachte, die Frau, die Ihren Fahrer ermordet hat, wäre Ihnen nach London gefolgt.«
»Wo sie mich töten wollte?«, flüsterte Anna. Jack nickte, sagte aber nichts. »Gott sei Dank war mir das nie bewusst.« Sie schob ihren Frühstücksteller beiseite.
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»Aber zu diesem Zeitpunkt hatte man sie für den Mord an Sergei bereits verhaftet?«, fragte Arabella.
»Genau«, bestätigte Jack. »Das habe ich allerdings erst erfahren, als ich mich gestern Abend mit Tom traf.«
»Dann hat das FBI mich also überwacht?« Anna sah Jack an, der gerade Butter auf ein Stück Toast schmierte.
»Schon eine ganze Weile«, räumte Jack ein. »Wir haben uns sogar einmal gefragt, ob Sie die Auftragsmörderin sind.«
»Mit welcher Begründung?«, verlangte Anna zu wissen.
»Kunsthändlerin zu sein ist eine gute Fassade für jemanden, der für Fenston arbeitet. Besonders, wenn sie auch noch sportlich ist und zufällig in Rumänien geboren wurde.«
»Wie lange stehe ich schon unter Beobachtung?«, fragte Anna.
»Seit zwei Monaten«, gab Jack zu. Er nahm einen Schluck Kaffee.
»Wir wollten gerade Ihre Akte schließen, als der van Gogh gestohlen wurde.«
»Ich habe ihn nicht gestohlen«, erklärte Anna mit scharfer Stimme.
»Sie hat ihn auf meine Veranlassung hin wiederbeschafft«, warf Arabella ein. »Und mit meinem Segen.«
»Hoffen Sie immer noch, dass Fenston sich mit dem Verkauf des Gemäldes einverstanden erklärt, damit Sie Ihre Schulden bezahlen können? Wenn er das nämlich tut, wäre das eine Premiere.«
»Nein«, rief Arabella, ein wenig zu schnell. »Das ist das Letzte, was ich will.«
Jack wirkte verwirrt.
»Erst muss die Polizei herausfinden, wer ihre Schwester ermordet hat«, warf Anna ein.
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»Wir wissen doch alle, wer meine Schwester ermordet hat«, meinte Arabella ungehalten. »Und wenn mir diese Person jemals unterkommt, werde ich ihr mit Vergnügen den Schädel wegpusten.« Beide Hunde stellten die Ohren auf.
»Es zu wissen ist nicht dasselbe wie es beweisen zu können«, hielt Jack dagegen.
»Dann kommt Fenston also mit dem Mord durch«, meinte Anna leise.
»Es ist vermutlich nicht das erste Mal«, räumte Jack ein. »Das FBI ermittelt schon
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