Die Farbe der Gier
um Victoria anzurufen und ihr zu raten, das Bild nicht aus der Hand zu geben, bevor du nicht mit Mr. Nakamura gesprochen hast – auf diese Weise kann sie ihre Schulden bei Fenston abzahlen und er kann nichts dagegen unternehmen.« Tinas Handyklingelton spielte: California Here I Come. Sie sah auf die Anrufer-ID: CHEF stand da zu lesen. Tina legte den Finger an die Lippen.
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»Es ist Fenston«, warnte sie. »Wahrscheinlich will er in Erfahrung bringen, ob du mit mir Kontakt aufgenommen hast.«
Sie klappte das Handy auf.
»Ist Ihnen klar, wen wir in dem Schutt verloren haben?«, fragte Fenston, bevor Tina etwas sagen konnte.
»Anna?«
»Nein«, bellte Fenston. »Die Petrescu ist tot.«
»Tot?«, wiederholte Tina und starrte quer über den Tisch auf ihre Freundin. »Aber …«
»Ja. Als sich Barry gemeldet hat, hat er bestätigt, dass er sie zuletzt auf dem Boden liegend gesehen hat, darum kann sie unmöglich überlebt haben.«
»Sie werden feststellen …«
»Vergessen Sie die Petrescu«, erklärte Fenston. »Ich hatte bereits geplant, sie zu ersetzen. Was ich nicht ersetzen kann, ist mein Monet.«
Tina verstummte geschockt und wollte ihm gerade erklären, wie sehr er sich irrte, als ihr plötzlich klar wurde, dass sie die Taktlosigkeit von Fenston zu Annas Vorteil verwenden konnte.
»Heißt das, dass wir auch den van Gogh verloren haben?«
»Nein«, erklärte Fenston. »Ruth Parish hat bereits bestätigt, dass das Gemälde London verlassen hat. Es soll noch heute Abend auf dem JFK ankommen. Leapman holt es dann ab.«
Tina sank auf ihrem Stuhl zusammen.
»Vergessen Sie nicht, sich morgen früh um sechs
einzufinden.«
»Sechs Uhr früh?«
»Ja«, erklärte Fenston. »Beschweren Sie sich nicht.
Schließlich haben Sie heute den ganzen Tag frei.«
»Und wo soll ich mich einfinden?«, fragte Tina, die sich nicht die Mühe machte, mit ihm zu streiten.
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»Ich habe Büroräume im 32. Stock des Trump Gebäudes in der Wall Street Nummer 40 angemietet. Wenigstens für uns läuft also alles wie immer.« Er legte auf.
»Fenston glaubt, dass du tot bist«, sagte Tina. »Aber er regt sich mehr darüber auf, dass er seinen Monet verloren hat«, fügte sie hinzu, während sie ihr Handy zuklappte.
»Er wird bald genug herausfinden, dass ich nicht tot bin«, meinte Anna.
»Nur, wenn du es willst«, erwiderte Tina. »Hat dich jemand gesehen, seit du den Turm verlassen hast?«
»Nur in dieser Verfassung«, meinte Anna.
»Dann wollen wir es auch dabei belassen, solange wir uns überlegen, was wir als Nächstes tun. Fenston sagt, der van Gogh ist bereits auf dem Weg nach New York und Leapman holt ihn gleich nach der Landung ab.«
»Was bleibt uns da noch zu tun?«
»Ich könnte versuchen, Leapman irgendwie aufzuhalten, während du dir das Gemälde krallst.«
»Aber was soll ich damit anfangen?«, fragte Anna. »Fenston wird mich ganz sicher suchen.«
»Du kannst das erste Flugzeug nach London nehmen und das Bild nach Wentworth Hall zurückbringen.«
»Das kann ich ohne die Erlaubnis von Victoria nicht tun«, sagte Anna.
»Großer Gott, Anna, wann wirst du endlich erwachsen? Du musst aufhören, wie eine Musterschülerin zu denken, und dir klarmachen, was Fenston tun würde, wenn er an deiner Stelle wäre.«
»Er würde herausfinden, um wie viel Uhr das Flugzeug landet«, sagte Anna. »Also muss ich als Erstes …«
»Als Erstes musst du duschen, während ich herausfinde, wann das Flugzeug landet und was Leapman plant.« Tina stand auf.
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»Denn eines ist sicher: So, wie du derzeit aussiehst, wird man dich nicht auf das Flughafengelände lassen.«
Anna leerte ihre Kaffeetasse und folgte Tina in den Flur. Tina öffnete die Tür zum Badezimmer und musterte ihre Freundin.
»Ich sehe dich dann …«, sie zögerte, »… in einer Stunde.«
Zum ersten Mal an diesem Tag musste Anna lachen.
Langsam schälte sich Anna aus ihren Kleidern, sah in den Spiegel und erblickte einen Menschen, der ihr vollkommen fremd war. Sie entfernte die Silberkette von ihrem Hals und legte sie neben die Badewanne, direkt neben das Modell einer Yacht. Schließlich nahm sie ihre Uhr ab, die um 8 Uhr 46 stehen geblieben war. Einige Sekunden später und Anna hätte sich im Aufzug befunden.
Als Anna unter die Dusche trat, dachte sie über Tinas tollkühnen Plan nach. Sie drehte beide Wasserhähne auf und ließ das Wasser einige Zeit auf sich prasseln, bevor sie auch nur daran dachte, sich einzuseifen. Sie sah zu, wie das Wasser
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