Die Farbe der Gier
loszuwerden. Ich bin für weniger ins Gefängnis gekommen und in den letzten vier Tagen habe ich kein Auge zugemacht. Sogar meine Frau vermutet, dass etwas nicht stimmt.«
»Es tut mir so Leid«, sagte Anna, während Anton sich eine Zigarette rollte. »Ich hätte dich nicht in eine solche Gefahr bringen sollen. Und was besonders schlimm ist, ich muss dich noch um einen weiteren Gefallen bitten.« Anton wirkte besorgt, wartete aber ab, wie ihre nächste Bitte aussah. »Du hast mir gesagt, dass du 8000 Dollar vom Geld meiner Mutter im Haus versteckt hast.«
»Ja, die meisten Rumänen horten Bargeld unter ihren Matratzen, falls mitten in der Nacht die Regierung wechselt.«
Anton zündete seine Zigarette an.
»Ich muss mir etwas davon leihen«, sagte Anna. »Ich zahle das Geld zurück, sobald ich wieder in New York bin.«
»Es ist dein Geld, Anna. Du kannst jeden einzelnen Cent bekommen.«
»Nein, es ist das Geld meiner Mutter, aber erzähle ihr nichts, sonst nimmt sie nur an, ich würde mich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Womöglich fängt sie dann noch an, ihre Möbel zu verkaufen.«
Anton lachte nicht. »Du steckst aber wirklich in
Schwierigkeiten, oder?«
»Nicht, solange ich das Bild habe.«
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»Wäre es dir lieber, wenn ich es noch einen weiteren Tag aufbewahre?«, fragte er und nahm einen Schluck Wein.
»Nein, aber danke für das Angebot«, meinte Anna. »Das würde nur bedeuten, dass wir beide heute Nacht nicht schlafen könnten. Ich glaube, es ist an der Zeit, dich von der Leinwand zu befreien.«
Anna erhob sich ohne ein weiteres Wort und ohne ihren Wein angerührt zu haben. Anton leerte sein Glas, drückte seine Zigarette aus und ließ einige Münzen auf dem Tisch liegen. Er setzte seine Mütze wieder auf und folgte Anna aus der Kneipe.
Sie musste daran denken, wie sie das letzte Mal gemeinsam das Koskies verlassen hatten.
Anna sah die Straße auf und ab, bevor sie sich zu Anton stellte, der auf Sergei einflüsterte.
»Hast du noch Zeit, deine Mutter zu besuchen?«, fragte Anton, als Sergei den hinteren Wagenschlag für sie öffnete.
»Nicht, solange jeder meiner Schritte beobachtet wird.«
»Ich habe niemand gesehen«, meinte Anton.
»Du siehst ihn nicht«, sagte Anna, »du spürst ihn.« Sie hielt inne. »Und ich dachte, ich hätte ihn abgehängt.«
»Das haben Sie nicht«, sagte Sergei und fuhr los.
Den Rest der kurzen Fahrt zu Antons Haus sprach keiner ein Wort. Sobald Sergei den Wagen zum Stehen gebracht hatte, sprang Anna heraus und folgte Anton ins Gebäude. Er führte sie rasch die Treppe zum Dachboden hinauf. Obwohl Anna aus dem Zimmer darunter Sibelius hören konnte, war klar, dass er kein Zusammentreffen von ihr und seiner Frau wünschte.
Anna ging durch den Raum, der voller Leinwände war. Ihr Blick fiel sofort auf das Gemälde von van Gogh, mit dem bandagierten linken Ohr. Sie lächelte. Das Bild steckte in seinem gewohnten Rahmen, in der offenen roten Kiste.
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»Es könnte gar nicht besser sein«, lobte Anna. »Jetzt muss ich nur noch dafür sorgen, dass es in die richtigen Hände kommt.«
Anton sagte dazu nichts und als Anna sich umdrehte, sah sie, wie er in der entlegenen Ecke des Raumes kniete und ein Dielenbrett anhob. Er griff hinein und zog einen dicken Umschlag heraus, den er in die Innentasche seines Jacketts gleiten ließ. Dann ging er wieder zu der roten Kiste, setzte den Deckel auf und schlug mit dem Hammer die Nägel ein. Sobald der letzte Nagel eingeschlagen war, hob er die Kiste hoch und führte Anna wortlos aus dem Raum hinaus und die Treppe hinunter.
Anna öffnete die Haustür, damit Anton auf die Straße treten konnte. Zu ihrer Freude wartete Sergei am Wagen, den Kofferraum bereits geöffnet. Anton legte die rote Kiste in den Kofferraum und rieb die Hände aneinander, was zeigte, wie froh er war, das Gemälde los zu sein. Sergei schlug den Kofferraumdeckel zu und setzte sich ans Steuer.
Anton zog den dicken Umschlag aus seiner Jackentasche und reichte ihn Anna.
»Dankeschön.« Sie gab ihm im Austausch einen anderen Umschlag, der allerdings nicht an Anton adressiert war.
Er las den Namen, lächelte und sagte: »Ich sorge dafür, dass sie ihn bekommt. Was immer du vorhast, ich hoffe, es funktioniert.«
Er küsste sie auf beide Wangen, bevor er im Haus verschwand.
»Wo werden Sie heute Nacht wohnen?«, fragte Sergei, als Anna sich auf den Beifahrersitz setzte.
Anna sagte es ihm.
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21. SEPTEMBER
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ALS ANNA AUFWACHTE, saß
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