Die Farbe Der Leere
zusehen, die den Frosch frisst, oder dem Löwen, der die junge Antilope reißt.
»Euer Ehren. Ich möchte mich nochmals ausdrücklich beim hohen Gericht entschuldigen. Unglücklicherweise wurde uns in letzter Minute, und zwar buchstäblich, erst hier im Gerichtssaal, zugetragen, dass wir für diesen Fall noch weitere Zeugen befragen und weiterführende Ermittlungen anstellen müssen. Es haben sich neue Anhaltspunkte ergeben.«
»Sie denken immer noch, Sie könnten zum festgesetzten Anhörungstermin in meinen Gerichtssaal kommen und Ihren Fall nicht vortragen?«
»Richter, Sie können uns kaum Vorwürfe machen, weil wir zunächst nicht glauben wollten, dass die Beklagte ernsthaft den Nikolaus beschuldigt, ihr Kind missbraucht zu haben.«
Verblüfftes Schweigen, dann vereinzeltes Gekicher, endlich ging eine Welle von halb unterdrückten Glucksern durch den Saal. Sogar Marshalls Gerichtsschreiberin prustete, auch wenn sie, da war Katherine sicher, später für ihre Leichtfertigkeit büßen würde. Dann senkte sich schuldbewusste Stille herab.
»Der Fall ist vertagt. Er wird endgültig zum nächsten Termin zur Verhandlung angesetzt. Und, Ms. McDonald, wenn Sie meinen Gerichtssaal noch einmal zum Zirkus machen, verurteile ich Sie wegen Missachtung des Gerichts. Ist das klar?«
Katherine setzte ein bußfertiges Gesicht auf und entschuldigte sich noch einmal.
»Und nächstes Mal beschuldigt sie dann den Osterhasen?«, kicherte ein Gerichtsdiener, als die Parteien hinausströmten.
»Lamar«, sagte Steve, als sie wieder nach oben gingen. »Jetzt weiß ich es wieder. Der Fall mit diesen Zeichnungen. Der Vorname des Jungen war Lamar.«
15
»Keine Ahnung, so 'ne alte Frau. Muss deine Sozialtante sein, Mann«, hörte Katherine den Jungen im Wohnheim sagen, der das Telefon abgenommen hatte.
Gleich darauf vernahm sie Joses Stimme. »Ja?«
»Hier ist Katherine.«
»Sind Sie schon meine Mentorin?«
»Ich habe den Antrag gestellt. Aber ich brauche deine Hilfe. Du musst etwas für mich tun. Du musst der Polizei sagen, was du mir über den neuen Freund erzählt hast, den Jonathan hatte, kurz bevor er verschwand. Die Anrufe, die er bekam, und alles, woran du dich sonst noch erinnern kannst. Ich weiß schon«, sagte sie rasch, bevor er protestieren konnte, »dass du die Cops nicht magst. Dies ist eine gute Ermittlerin. Sie versucht den Kerl zu schnappen, der Jonathan umgebracht hat. Du hast gesagt, du würdest ihn umbringen, wenn du könntest. Wenn du das wirklich willst, finde ich, du kannst zumindest mit ihr reden.«
»'ne Dopefahnder-Lady?«
»Nein, nicht vom Drogendezernat, sie ist bei der Mordkommission. Du kannst natürlich auch mit mir reden, dann muss ich ihr alles weitererzählen, und wenn sie dann Rückfragen hat, kann sie mir sagen, was ich dich fragen soll, und das Ganze dauert ewig. Dabei verschwenden wir viel Zeit.«
»Wessen Zeit verschwenden wir denn?«
»Jose. Er tötet den Nächsten, wenn ihn keiner aufhält. Meinst du, Jonathan würde wollen, dass noch einer ermordet wird, wenn du helfen kannst, es zu verhindern?«
»Okay, ich red' mit ihr.«
»Gut. Sie heißt Peggy. Peggy Malone. Sie wartet schon auf meinen Anruf. Dann kommt sie heute Abend vorbei, um mit dir zu reden.«
»Jetzt schulden Sie mir noch 'ne Pizza.«
»Geht klar. Hör mal, Jose, was du mir von Jonathan erzählt hast, sein Spruch über die Leere. Ich hab mich gefragt, ob du weißt, woher er solche Ideen hatte?«
»Klar doch. Bleiben Sie dran. Ich glaub, ich hab sie auf der Rückseite von diesem Zettel, den er mir gegeben hat.«
Er hat die Leere auf der Rückseite eines Zettels?
Jose war binnen kurzem wieder dran. »Ich hab ihn. Er gab mir doch so 'n Stück Papier, gefaltet wie ein Brief, wissen Sie, weil da der Sch… Kram über die Leere draufsteht, und auf der anderen Seite ist die Adresse und Telefonnummer von der Kirche.«
»Der Kirche?«
»Ja, Mann. Nein«, er hielt inne. »Keine Kirche, ein Zendo. Das war es. Ein Zendo. Jonnie ging da hin.«
Sie schrieb die Adresse und die Telefonnummer auf. Bevor sie auflegte, dankte sie ihm nochmals, dass er bereit war, mit Malone zu sprechen. Auf seine Nachfrage hin versprach sie ihm mit einem Seufzer, dass sie ihn zur Pizza einladen würde, wenn sie ihn das erste Mal als seine Mentorin besuchen kam.
Später fiel ihr ein, dass sie zu fragen vergessen hatte, ob er es war, der am Nachmittag, als sie im Gerichtssaal war, ein Dutzend Mal bei ihr im Büro angerufen und, ohne eine Nachricht
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