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Die Farbe des Himmels

Die Farbe des Himmels

Titel: Die Farbe des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britt Silvija und Reissmann Hinzmann
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kommen, wenn ich will. Vielleicht tue ich das wirklich irgendwann. Wahrscheinlich ist es sowieso das Beste, von hier wegzugehen und irgendwo, möglichst weit fort, ein neues Leben anzufangen.
    Zu meiner Schwester will ich nie mehr zurück. Sie kehrt so sehr die Ersatzmutter heraus, dass es unerträglich ist. Gestern war sie da. Sie hat mir die neue »Bravo« und diese billigen Schokoladenkekse mitgebracht. Sie tut so, als sei nie etwas vorgefallen. Sie versteht nichts. Gar nichts.
    Ich beneide Sofia. Ihr Bruder hat ihr eine Stelle als Schneiderin in Mailand besorgt. Sie träumt davon, eines Tages für die ganz großen Modeschöpfer zu nähen. Und ich soll auch nach Mailand kommen und dort Karriere machen – als Mannequin. Ich habe darüber gelacht, aber sie meinte, das sei eine Kleinigkeit für mich, so hübsch, wie ich sei. Die hebe, g ute Sofia. Wenn ich doch auch den Mut hätte, solche Träume zu haben.
     
    *
     
    Es war bereits nach zehn Uhr abends, als Thea die Tür ihrer kleinen Wohnung in Zuffenhausen aufschloss. Sie war hundemüde und durchgeschwitzt und freute sich auf ihre Dusche.
    Die ruhige Straße, in der sie seit dem letzten Winter wohnte, grenzte an eine Parkanlage mit einem Kinderspielplatz. Im Sommer saßen hier unter den Kastanienbäumen Rentner und Gastarbeiter aus Südosteuropa und spielten Boccia oder Schach. Thea war froh, diese Wohnung bekommen zu haben, weil sie nicht weit von ihrer Arbeitsstelle entfernt lag und außerdem erschwinglich war, was in Stuttgart einem Lottogewinn gleichkam.
    Sie warf die Post auf den Schreibtisch mit dem festen Vorsatz, sie noch heute oder spätestens morgen durchzusehen. Seit Tagen hatte sie nicht aufgeräumt. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Zeitungen und Prospekte, in der Spüle stand noch das Geschirr vom Vorabend, und im Wäschekorb wartete ein Berg schmutziger Klamotten darauf, endlich in die Waschmaschine gestopft zu werden. Lustlos begann sie aufzuräumen. Obwohl sie müde war, tat ihr die eintönige Arbeit gut. Im Vorbeigehen schaltete sie den Fernseher ein. Sie zappte sich bis zum Regionalprogramm durch, wo gerade Spätnachrichten liefen. Die Villa auf dem Bildschirm kam ihr bekannt vor.
    »Die Stuttgarter Kriminalpolizei ermittelt in einem Mordfall. Der Textilunternehmer Wolf Hauser wurde in seinem Haus in Stuttgart-Sonnenberg tot aufgefunden. Die Polizei hat bisher noch keine Hinweise auf ein Motiv oder einen möglichen Täter genannt.« Auf dem Bildschirm erschien ein Foto von Wolf Hauser, das schon vor mehreren Jahren aufgenommen worden sein musste. Seine stechend blauen Augen blickten selbstbewusst, und der energische Zug um seinen Mund verriet Führungsqualitäten. Er sah attraktiv aus. Und trotzdem, irgendetwas an ihm stieß Thea ab. Das Bild seines Leichnams schob sich wieder vor ihr inneres Auge. Sie machte den Fernseher aus und ging ins Bad, in der Hoffnung, mit einer ausgiebigen Dusche auch die Bilder vom Tatort von sich abspülen zu können.
    Zehn Minuten später rubbelte sie ihre Haare trocken, holte eine angebrochene Flasche Trollinger aus dem Küchenschrank und schenkte sich ein Glas ein. An den Türrahmen gelehnt sah sie sich in ihrem Schlafzimmer um. Die Tür des Kleiderschranks war wie immer einen Spalt offen. Eine willkommene Einladung, mal wieder darin aufzuräumen. Als sie sich auf den Boden kniete und die Socken in die unterste Schublade legte, sah sie ganz hinten im Schrank die alte Pappschachtel, in der sie allerlei Krimskrams aus der Kindheit aufbewahrte. Sie zog sie heraus und nahm den Deckel ab, der an den Ecken schon eingerissen war. Ein paar Fotoalben und vergilbte Schulhefte kamen zum Vorschein. Sie nahm ein Heft heraus, blätterte darin und war gerührt, als sie ihre krakelige Kinderschrift sah.
    Am Boden der Schachtel lag ein in Seidenpapier eingewickeltes Wolltuch, das ihr Ordensschwester Maria Margarethe an ihrem letzten Tag im Kinderheim Santa Klara in die Hand gedrückt hatte. An Theas vierzehnten Geburtstag hatte ihr Meggi, wie die Kinder die Schwester heimlich nannten, eröffnet, dass sie als Baby in diesem Tuch eingewickelt an der Pforte des Stuttgarter Olgahospitals gefunden worden war. Man hatte Thea ins Allgäu nach Santa Klara gebracht, wo sie achtzehn Jahre lang geblieben war.
    Schon während der Schulzeit hatte Thea beschlossen, später Polizistin zu werden. Meggi war davon gar nicht begeistert gewesen und es hatte viele Diskussionen gegeben. Sie fand, dass Thea für diesen Beruf viel zu sensibel war und

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