Die Farben der Finsternis (German Edition)
zumindest bis das Sterben sich unter ihnen ausgebreitet hatte. Das hatte die Sachlage verändert. Und doch sahen viele in dem Jungen eine Art Erlöser oder Heilsbringer. Mr Bellew saß zwischen zwei Stühlen. Alle wussten, um welche Blutlinie es sich handelte und dass man so oder so werden konnte – brutal oder freundlich, Erlöser oder Zerstörer. Für Mr Bellew waren der Junge und seine Familie nur die Joker in einem Kartenspiel, vielleicht brachten sie etwas, vielleicht auch nichts. Was den Onkel betraf, hatte das Haus der Intervention immer geschwiegen. Es gab keine Antwort auf diesbezügliche Fragen, seit Castor Bright Alan und Evelyn Jones zusammengebracht hatte, und doch erschien Cassius Jones ausgerechnet hier und jetzt auf Abigail Porters Bildschirm. Doch der Polizist war im Augenblick nicht so wichtig. Mr Bellew musste diese Frauen auf die Aufgaben vorbereiten, die sie seinem Plan zufolge übernehmen sollten.
»Versuchen Sie es weiter«, sagte er. Projizieren war schön und gut, aber wenn sie sich nicht spiegeln konnten, hatte das Ganze keinen Zweck. Sie hatten das Potenzial zum perfekten Attentäter; alle drei waren bestens in Selbstverteidigung und dem Gebrauch von Schusswaffengeübt und wussten, wie die höchsten Politiker ihrer jeweiligen Vaterländer tickten. Sie kannten die Grundrisse der Gebäude und die Wege ihrer Anführer. Wenn sie die Spiegelungen meisterten und gleichzeitig an verschiedenen Orten sein konnten, wäre es ihm endlich möglich, genug Unfrieden zu stiften – möglicherweise würde es den Erwartungen der Kranken immer noch nicht genügen, aber ihm selbst würde es reichen. Die Kranken starben sowieso, und wenn er erst mal fertig war, wäre es wahrscheinlich ohnehin am besten, wenn sie so schnell wie möglich das Zeitliche segneten.
Die junge Russin quasselte vor sich hin, während die Apparaturen surrten und alle Fähigkeiten, die sie jetzt, da sie sich verwandelte, auf natürliche – oder vielleicht auch unnatürliche – Weise entwickelte, verstärkten. Gleichzeitig fing die Amerikanerin an zu weinen und leise zu Gott zu beten. Sie musste noch lernen, dass er jetzt ihr Gott war. Er konzentrierte sich wieder auf Abigail Porter. Warum wurde er das Gefühl nicht los, dass sie sich seinen Befehlen widersetzte? Er war sicher, dass sie noch viel besser sein könnte.
»Strengen Sie sich mehr an«, knurrte er und nickte einem Techniker zu. Als drei weitere Lämpchen an der Seite ihrer Schale aufleuchteten, schrie sie leise auf. Ihre Augen glühten silbern und dann passierte es: Eine Sekunde lang erschien sie neben Mr Bellew. Er lächelte. Für jemanden, der nur der General genannt wurde, ein brutaler Mann der Macht, meisterte er dieses Spiel immer besser.
»Das tut weh«, sagten die beiden Abigail Porters, »Gott, tut das weh!«
»Nicht aufhören!« Mr Bellew sah von einer zur anderen. »Jetzt müssen Sie die Spiegelung nur noch verhärten.«
An seiner anderen Seite flimmerte plötzlich ein Abbild der Amerikanerin. Es war nicht so kräftig wie das von Abigail,aber es war da und auch ihre leisen Tränen hörte er in Stereo. Mr Bellew lachte laut auf, als der Russin endlich ein kurzes Aufflackern einer Spiegelung am anderen Ende des Raums gelang. Er war Charlie und sie waren seine drei Engel.
24
Als er zum Revier zurückkehrte, platzte das Team in der Einsatzzentrale geradezu vor Energie. Alle waren hellwach, alle waren dran. Obwohl er müde und entnervt war, spürte er es selbst, diesen knallharten Rausch, wenn man einen Mord aufklärt. Sie hatten Amanda Kemble verhaftet und jetzt auch noch Richard Shearman. Alles kam zu einem Abschluss, jedenfalls soweit es das Team betraf. Cass dagegen fehlten noch eine ganze Menge Antworten, und die würde er sich jetzt holen.
Als er Armstrong endlich zu packen bekam, war er in ein anderes Büro unterwegs, das hinter dem von Cass lag. Der Sergeant zuckte förmlich zusammen.
»Wo ist Dr. Shearman?«
»In Nummer 3. Aber der DCI möchte mit Ihnen reden …«
»Ich gehe gleich hoch. Vorher will ich nur kurz den Arzt sehen.«
»Okay«, sagte Armstrong. Er hielt die Bürotür so zu, dass durch den schmalen Spalt nichts zu sehen war. Doch jemand telefonierte. Cass konnte die Worte nicht verstehen, erkannte aber einen amerikanischen Akzent. Ramsey? War Ramsey hier?
Sein Herz stolperte über den eigenen Rhythmus und er sah Armstrong an, der rasch den Blick abwandte, als er von hinten angesprochen wurde.
Ein Constable hielt ihm ein Telefon
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