Die Farben der Finsternis (German Edition)
weil die Medien es so eilig hatten, die Sache den Russen in die Schuhe zu schieben, und wir haben nicht abgewiegelt, damit der labile Frieden, den wir im Nahen Osten angeschoben haben, nicht direkt wieder gefährdet ist. Im Augenblick können wir die kaum dafür verantwortlich machen, oder? Frühestens in einem Monat nach dem Gipfel.«
»Ich werde vorsichtig vorgehen.«
Die Premierministerin sah zu dem Chef ihrer Terrorabwehr hoch. »Gehen Sie unbedingt auf Nummer sicher.«
Abigail beobachtete die Frau, für deren Schutz sie bezahlt wurde. Im Gegensatz zu David Fletcher verstand Alison McDonnell etwas von Politik, mehr noch, sie hatte begriffen, wie die Welt funktionierte. Es gefiel ihr nicht immer, aber sie verstand es und war deshalb so gut in diesem Spiel. Und das war es im Grunde immer, wenn es um Leben und Tod ging – ein Spiel. Das Spiel. Fletcher würde das nie verstehen. Es war sinnlos, es zu ernst zu nehmen, denn am Ende jedes Tages blieben nur Bewegungen und Gegenbewegungen, Gewinner und Verlierer. Abigail dachte an das leere Benutzerkonto bei Hotmail. Das Spiel war vielleicht kalt und gefährlich, aber etwas anderes gab es nicht. Und nun versuchte jemand, sie wieder ins Spiel zu bringen.
Das war wirklich interessant.
5
Obwohl die Sonne hell durch die Fenster des kleinen Hauses in Lewisham schien, stumpfte ihr Strahlen in der düsteren Atmosphäre des Wohnzimmers ab, als ob es spürte, dass die gute Laune, die der Sonnenschein normalerweise mit sich brachte, hier nicht erwünscht war. Cory Denter war vier Tage zuvor gestorben und seine Großeltern und Tanten waren aus Trinidad angereist, um die Familie in ihrer Trauer zu unterstützen. Große schwarz gekleidete Frauen tranken Tee und unterhielten sich leise, das Weiß in ihren Augen war rot gerändert vom Weinen. Man konnte den Schmerz in diesem Raum beinahe schmecken. Cass hatte ihn schon zu oft gefühlt.
»Bleiben Sie ruhig so lange wie nötig.« Corys Mutter blickte in verzweifelter Hoffnung zu ihm auf.
Er wusste warum. Im ganzen Haus standen stolz gerahmte Bilder dieser Familie, die nun zerbrochen war, Fotos von Cory, lächelnd über die Jahre seines kurzen Lebens. Die ganze Familie sah aus, als würde sie stets lächeln – doch das war vorbei. Die Zukunft hielt nur noch ein Echo dieser Freude für sie bereit. Und Corys arme Mutter wollte wissen warum.
»Ich weiß nicht genau, was Sie eigentlich wollen?« Mr Denter beäugte ihn misstrauisch, und auch das war Cass nicht fremd. Sein Verhalten drückte unmissverständlich aus: Machen Sie uns nicht ohne Grund irgendwelche Hoffnung. Tun Sie uns das nicht an, nicht gerade jetzt. »Das Auto ist weg. Wir wollten es nicht hierhaben. Da war zu viel …« Seine Stimme brach und der Satz blieb unvollendet.
Egal, Cass kannte sein Ende. Zu viel Blut.
»In dem Auto war aber auch nichts, nur das Übliche – Stadtpläne, das Handbuch, Kaugummi, ein paar CDs.« MrDenter kamen die Tränen, als versetzte ihm die Erinnerung an jeden einzelnen dieser Gegenstände innerlich einen Stich.
»Dürfte ich sein Zimmer sehen?«
»Er ist immer ein guter Junge gewesen.« Mrs Denter sah vom Sofa auf. Die Hoffnung war einem vagen Grauen gewichen. Es war nicht immer gut, zu wissen warum . »Von Anfang an.«
»Das glaube ich gern, Mrs Denter.«
Sie zuckte die Achseln, als läge eine schwere Last auf ihren Schultern. »Ich verstehe es einfach nicht. Ich verstehe es nicht.« Die Tränen schossen ihr in die Augen, heiß und schnell aus dem nie versiegenden Brunnen in ihrem Inneren, und massige schwarze Arme umschlossen sie, als eine ältere Jamaikanerin ihr tröstend etwas zuflüsterte. Ihr Akzent ging runter wie Rum. Cass wurde schon vom Zusehen neidisch. Es war bestimmt schön, so gehalten zu werden, und es war lange her, seit ihn, außer den Toten, die an ihm zerrten, jemand angefasst hatte.
Als er Mr Denter ansah, tauschten sie einen Blick, der mehr sagte als alle Worte, und einen Augenblick lang sah Cass wieder am Lauf einer Pistole entlang in die aufgerissenen braunen Augen eines Jamaikaners. Er drängte die Erinnerung wieder zurück, verließ mit dem Vater des toten Jungen das Zimmer der weinenden Frauen und folgte ihm über die schmale Treppe nach oben.
Dort fragte ihn Mr Denter etwas, so leise, dass es unten nicht zu hören war.
»Hatte mein Junge Probleme? Hat er sich in irgendwas reingeritten?« Der Adamsapfel des Mannes zuckte nervös auf und ab, weil er wissen wollte warum , aber auch Angst vor der
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