Die Farben der Finsternis (German Edition)
schrecklichen Sache mit der U-Bahn musste ich ein Taxi nehmen. Ich schätze, ich war erst kurz nach zwei Uhr morgens wieder hier.«
»Und Ihre Schwester kann das bestätigen?«
»Selbstverständlich – natürlich kann sie das. Ihr Mann hatte Geburtstag. Wir haben nett zusammen gegessen.«
»Die Details sind nicht so wichtig.« Cass schloss die Schublade. Da war nichts zu finden. »Ich brauche nur die Adresse und Telefonnummer Ihrer Schwester. Haben Sie ein Minicab genommen?«
»Nein, ein ganz normales Taxi.«
»Sie müssen eine neue Matratze kaufen.« Armstrong hob ein Kissen hoch und schaute darunter. »Vielleicht zahlt das die Versicherung. Unsere Leute reinigen den Teppichboden, aber die Matratze ist hinüber.«
Newton zuckte zurück. »Vielleicht können sie sie für mich entsorgen.«
»Das machen sie bestimmt.« Armstrong lächelte.
Cass beobachtete das Geplänkel. Sein Sergeant konnte Neil Newton offenbar genauso wenig leiden wie er. Er bückte sich und schaute unter dem Bett nach. Dann zog er grinsend eine Laptoptasche hervor.
»Wusste ich’s doch, dass hier irgendwo einer sein muss. Ohne Computer und Internet kann es ein Student der Medienwissenschaften nicht weit bringen.«
»Davon wusste ich nichts.« Newton runzelte die Stirn. »Ich habe hier oben kein Internet – nur unten im Laden. Mir reicht das.«
Das schlanke Modell war genau so, wie Cass es von einem Studenten erwartet hätte, modisch, aber günstig. In einem Fach der Tasche steckte ein silberner Dongle.
Er zog ihn heraus.
»Prepaid-Internet«, verkündete er zufrieden.
Als sie glücklich außer Reichweite von etwaigen Gerüchen, die Neil Newton vielleicht mit ihnen teilen wollte, wieder auf der Straße standen, gab Cass Armstrong den Laptop.
»Darum sollen sich die Techniker kümmern. Es dürfte nicht lange dauern, sich ein Bild von Lidsters Leben zu machen. In der Zwischenzeit überprüfe ich das Alibi dieses Schmierlappens. Wir sehen uns dann in ein paar Stunden auf dem Revier.« Er winkte ein Taxi heran.
»Wieso? Wo wollen Sie denn hin?« Armstrong runzelte die Stirn.
»Das ist das Gute, wenn man der Chef ist.« Cass zwinkerte ihm zu. »Man muss nicht alle Fragen beantworten.«
Seit den Bombenanschlägen gab es Forderungen, die Staugebühr auszusetzen, weil man mittlerweile schon dafür Strafe zahlen musste, dass man in dem andauernden Stau in der Londoner Innenstadt feststeckte, aber die Politiker mieden das Thema stoisch. Cass ging davon aus, dass sie es sich nicht leisten konnten, die Gebühr zu stoppen, weil die Regierung genauso pleite war wie alle anderen.
Der Taxifahrer schlängelte sich so gut es ging durch den langsamen Verkehr, und als sie endlich in Wimbledon ankamen, war ein stattlicher Fahrpreis zusammengekommen. Cass wäre mit der U-Bahn wahrscheinlich preiswerter davongekommen, aber er fuhr lieber überirdisch, wo er die Stadt auch sehen und nach oben schauen konnte, wenn er das Bedürfnis dazu verspürte. Er saß auch lieber im Stau fest als eingeklemmt wie eine Sardine in einer der überfüllten Bahnen, die unter ihren Füßen dahinrumpelten. Wenn er die Wahl hatte, entweder die abgestandene Luft und den Schweißgeruch von Hunderten von Fremden einzuatmen oder sich den giftigen Abgasen Tausender qualmenderFahrzeuge auszusetzen, entschied er sich immer für Letzteres.
Adele Streatham wohnte in einer großen Doppelhaushälfte unweit der berühmten Tennisanlage. Der Vorgarten war penibel gepflegt: ein ordentlicher Rasen, der von so vielen Sträuchern umrahmt war, dass es nicht langweilig wirkte, jedoch auch nicht zu viel Arbeit machte. Die Türschwelle aus rotem Klinker sah frisch geschrubbt aus. Adele Streatham war eine tüchtige Frau; das wusste Cass bereits, bevor sie die Tür aufmachte.
Sie studierte sorgfältig seinen Dienstausweis, ehe sie ihn einließ.
»Sie haben Glück«, sagte sie, als sie ihn ins Wohnzimmer führte. »Sie erwischen mich zwischen zwei Hausbesuchen.«
Sie war eine kräftige Frau Mitte vierzig. Das silberblonde Haar hatte sie zu einem nüchternen Knoten gebunden. Das wirkte streng, aber Cass war nicht sicher, ob sie es aus praktischen Gründen so trug oder weil sie es schöner fand. Sie bot ihm keinen Tee an, nahm jedoch ihm gegenüber Platz und sah ihn erwartungsvoll an.
»Schönes Haus«, sagte Cass.
»Sowohl die Rezession als auch eine Scheidung haben mir in die Hände gespielt. Das hört man nicht oft, ich weiß, aber das Fiasko mit der eingeschränkten staatlichen
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