Die Farben der Finsternis (German Edition)
Typ steckt also definitiv hinter den Anschlägen in London?«, fragte Cass. »Nur trägt er diesmal eine Attrappe ?«
»Ja.«
»Warum sollte er so viele Menschen töten und sich dann umbringen, während er einen falschen Sprengstoffgürtel trägt? Ist das nicht sonderbar?«
»An der ganzen Sache ist einiges sonderbar.« Fletcher verschob das Bild auf seinem Laptop. »Und hier kommt Abigail Porter auf das Gleis.«
Cass schaute auf den hochauflösenden Bildschirm: Das Bild war so weit wie möglich angepasst worden, aber es war immer noch körnig und aus einem ungünstigen Winkel aufgenommen. Die ATD war super ausgerüstet, doch dieVideoaufzeichnungen stammten trotzdem von den Überwachungskameras der Londoner U-Bahn.
Abigail Porter stürmte die Treppe hinunter auf das Gleis. Dann hob sie die Pistole und zielte auf den dicken Mann, der ihr gegenüber an der Bahnsteigkante stand.
»Ist sie allein?«
»In der Zuschauermenge hat ihn keiner gesehen. Sie hat den Alarm ausgelöst, die Premierministerin runtergezogen und ist losgerannt, bevor unsere Leute auf dem Platz überhaupt wussten, was los war. Außerdem hat sie den Funkkontakt abgestellt.«
»Seltsam, dass ihn keiner gesehen hat.«
»Allerdings. Wir haben eine ganze Liste seltsamer Dinge im Zusammenhang mit diesem Attentäter und sie wird immer länger. Das meiste ist geheim und geht Sie nichts an – seien Sie froh. Abigail hatte diesen Mann schon mal gesehen, und zwar in der Nacht, in der die Anschläge auf London verübt worden waren. Sie hat gesagt, er habe in ihrer Straße gestanden, aber dann hat sie es sich anders überlegt und behauptet, er sei es nicht gewesen – doch das habe ich ihr nicht abgekauft. Bei ihrer Ausbildung wäre ihr so ein Fehler nicht passiert. Dazu kommt, dass der Typ alles andere als normal aussieht.«
Einige Pendler drehten wieder um, als sie die Pistole sahen, und wollten die Treppe hinaufsteigen, die sie gerade heruntergekommen waren. Die Menschen drängten sich rückwärts ineinander und schufen eine Art Amphitheater für das Drama, das sich vor ihren Augen abspielte.
»Das ergibt doch keinen Sinn.« Cass runzelte die Stirn. »Er steht schon mehrere Minuten auf dem Gleis, bevor sie kommt. Er kommt nicht mal die Treppe runter, sondern kommt irgendwo aus der Menge. Er kann nicht der Mann sein, den sie gejagt hat.«
»Allem Anschein nach ist unser Mann dazu in der Lage, an zwei Orten gleichzeitig zu sein.« Fletcher lächelte kläglich. »Doch damit müssen Sie sich auch nicht befassen. Ich möchte, dass Sie sich die Kommunikation der beiden ansehen. Wir wissen nicht, warum Abigail verschwunden ist, aber hiermit fängt alles an.«
»Das sehe ich anders«, sagte Cass. »Es begann mit der Lüge, sie hätte ihn doch nicht in ihrer Straße gesehen. In dem Augenblick hat sie ihre Wahl getroffen. Was ist dann passiert?«
Auf dem Bildschirm ging die Geschichte weiter. Zwei reglose Figuren, von denen eine die Pistole gezogen hatte.
»Reden Sie miteinander?«
»Ja.«
Der Bildschirm wurde geteilt und auf der einen Seite erschien das Gesicht des Dicken. Die Bewegung seiner Lippen war einigermaßen klar zu erkennen.
»Das hat sie auch geleugnet. Porter befiehlt ihm, das Ding hinzulegen, was sie für den Zündmechanismus hält. Das tut er nicht. So weit, so gut, alles ganz normal. Aber was er dann sagt, ergibt überhaupt keinen Sinn.«
»Und das wäre?«
»Er fragt sie, seit wann sie sich leerlaufen lässt.«
»Was?«
»Ich weiß, mir sagt das auch nichts. Und dann sagt er: ›Du spürst es doch, oder nicht? Wie alles ausläuft? Ist das nicht schön?‹ Ich dachte, es könnte sich um einen Code handeln, aber unsere Experten können ihn nicht knacken.«
Cass betrachtete schweigend den Mann auf dem Bildschirm. Fleckige Haut auf fetten Wangen. Schwarze Augen. Würde der Mann etwa leuchten, wenn er in Fleisch und Blut vor ihm stünde? Ihm fiel das silberne Funkeln wieder ein, das er in Abigail Porters Augen gesehen hatte.Das war kein Code. Das waren Machenschaften des Netzwerks, da war er ganz sicher. Doch wenn das hier zum Himmel nach Mr Bright stank, warum wurde Cass dann in dieses Spiel einbezogen? Warum löste Mr Bright es nicht selbst auf ?
»Sie fragt ihn, wer er ist«, fuhr Fletcher fort, »und er antwortet: ›Ich gehöre zur Familie.‹«
Das war ein Puzzle, direkt vor seiner Nase, und auch wenn er nicht vorhatte, Fletcher bei seiner Suche zu helfen – er wollte auf jeden Fall vermeiden, irgendwas mit dem Netzwerk zu tun
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