Die Farben der Zeit
unwichtiger Zwischenfall war und daß die Tatsache, daß ich sie zurückgebracht habe, keine Inkonsequenz erzeugt hat.«
Verity nickte, aber ohne Überzeugung. »Schon möglich. Aber wenn Baine sie gerettet hätte, wäre sie nicht vier Tage verschwunden gewesen. Sie wären nicht zu Madame Iritosky gefahren, und Tossie hätte Terence nie kennengelernt.« Sie kroch aus dem Schrank und ging zur Tür. »Ich muß es Dunworthy sofort sagen. Ich komme so schnell ich kann, wieder zurück und gebe Ihnen Bescheid.«
Sie legte die Hand auf den Türknauf. »Ich klopfe nicht an«, flüsterte sie. »Wenn Mrs. Mering es klopfen hört, meint sie vielleicht, es seien Geister. Ich kratze an der Tür.« Sie machte es vor. »Ich werde bald wieder da sein.« Damit öffnete sie die Tür.
»Einen Moment noch«, sagte ich, holte Mrs. Merings Stiefel unter der Matratze hervor und warf ihn Verity zu. »Bitte, stellen Sie ihn vor Mrs. Merings Tür.«
Sie fing den Stiefel auf. »Ich erspare Ihnen nähere Fragen«, sagte sie süffisant lächelnd und schlüpfte aus der Tür.
Ich hörte weder umstürzende Statuen noch den Schrei: »Geister!« aus Mrs. Merings Zimmer. Nach einer Minute setzte mich in den Sessel und wartete. Und machte mir Gedanken.
Also, ich sollte die Katze eigentlich nicht zurückbringen. Jetzt erinnerte ich mich, daß Dunworthy gesagt hatte: »Warten Sie hier!«, aber ich hatte gedacht, er wolle mich davon abhalten, das Labor zu verlassen.
Und damit hätte nicht zum ersten Mal ein Fehler in der Kommunikation den Lauf der Geschichte beeinflußt. Wenn man auf die unzähligen Male schaute, wo eine Nachricht falsch verstanden wurde oder nicht durchgegeben werden konnte oder in die falschen Hände geriet und dadurch der Ausgang einer Schlacht entschieden wurde! General Lees Pläne für Antietam, die er zufällig fallenließ, oder das Telegramm von Zimmerman oder Napoleons unverständliche Befehle an General Ney bei Waterloo. Oder Hitlers Migräne am Tag, als die Alliierten in der Normandie landeten.
Ich wünschte, mir würde eine Begebenheit einfallen, wo ein Kommunikationsbruch etwas anderes als katastrophale Folgen gehabt hatte, war mir aber nicht sicher, ob es überhaupt eine solche gab. Nehme man bloß den Angriff der leichten Brigade!
Lord Raglan hatte von einem Hügel aus gesehen, wie sich die Russen mit erbeuteter türkischer Artillerie zurückziehen wollten und Lord Lucan befohlen, sie zu stoppen. Lord Lucan, der nicht auf einem Hügel stand und vielleicht unter Schwierigkeiten, Laute zu unterscheiden, litt, konnte keine andere Artillerie sehen als die russische, deren Kanonen geradewegs auf ihn gerichtet waren und befahl Lord Cardigan und seinen Männern, diese geradewegs anzugreifen. Mit voraussehbarem Resultat.
»›Hinein ins Tal des Todes ritten die sechshundert‹«, [52] murmelte ich und hörte ein leises Kratzen an der Tür.
Konnte es Verity sein? Ich bezweifelte es. Sie war doch kaum lange genug fort, um zum Gartenpavillon hin und zurückzulaufen, geschweige denn in die Zukunft zu springen.
»Wer ist da?« flüsterte ich.
»Verity«, flüsterte es zurück.
»Ich sagte doch, ich würde an der Tür kratzen«, sagte sie, als ich sie hereinließ. Sie trug ein in braunes Papier gewickeltes Päckchen in der Hand.
»Ich weiß«, sagte ich. »Aber Sie waren erst fünf Minuten fort.«
»Ausgezeichnet. Das heißt, es gab überhaupt keinen Schlupfverlust. Ein gutes Zeichen.« Sie setzte sich mit zufriedener Miene aufs Bett. Offenbar hatte sie gute Neuigkeiten.
»Was sagte Dunworthy?« fragte ich.
»Er war nicht da«, erwiderte sie fröhlich. »Er ist nach Coventry gefahren, um Elizabeth Bittner zu treffen.«
»Mrs. Bittner? Die Frau des letzten Bischofs von Coventry?«
Verity nickte. »Er wollte sie aber nicht deswegen aufsuchen. Sie hat offenbar in der Anfangszeit des Netzes darin mitgearbeitet. Kennen Sie sie?« fragte sie neugierig.
»Lady Schrapnell schickte mich zu ihr. Ich sollte sie wegen des Bischofs Vogeltränke befragen.«
»Wußte sie etwas darüber?«
»Nein.«
»Aha. Kann ich Ihre Biskuits haben?« Sie schaute hungrig zum Nachttisch, wo das Tablett stand. »Ich sterbe vor Hunger.« Sie nahm eins und biß hinein.
»Wie lange waren Sie fort?« fragte ich.
»Stunden. Miss Warder wollte mir nicht sagen, wo T. J. ist. Er versteckte sich gerade vor Lady Schrapnell und hatte Miss Warder gebeten, niemandem zu sagen, wo er sich aufhält. Ich brauchte Stunden, um ihn ausfindig zu
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