Die Farben der Zeit
plötzlich, dort auf dem Tisch vor mir, erschien ein weißes Licht, das heller und heller wurde, bis ich…« Sie machte eine dramatische Pause, »Ihren Brief erkannte.«
»Meinen Brief!« Mrs. Mering rang nach Atem, und ich eilte an ihre Seite, voller Angst, wir müßten uns gleich mit einem neuerlichen Ohnmachtsanfall befassen, aber sie fing sich nach ein paar Sekunden wieder. »Ich schrieb ihr, erzählte von den Geistern, die ich gesehen hatte«, erklärte sie mir. »Und nun haben diese Sie mir geschickt!«
»Sie wollen mir etwas sagen«, sagte Madame Iritosky und starrte zur Decke hoch. »Ich fühle ihre Anwesenheit. Sie sind hier mitten unter uns.«
Ebenso wie Tossie, Terence und Baine, die allesamt gerade erschienen waren. Und Colonel Mering, der außerordentlich verärgert dreinblickte. Er trug Anglerstiefel und in der Hand einen Käscher. »Was ist los?« polterte er ungehalten. »Hoffe, was Wichtiges. Diskutierte gerade mit Peddick die Schlacht von Monmouth.«
»Miss Mering, amor mia«, sagte Count de Vecchio und wandte sich sofort an Tossie. »Wie freue isch misch, Sie wiederrrzusehen.« Er beugte sich über Tossies Hand, als wollte er sie küssen.
»Guten Tag«, sagte Terence, schob sich vor Tossie und streckte steif die Hand aus. »Terence St. Trewes. Miss Merings Verlobter.«
Count de Vecchio und Madame Iritosky tauschten einen kurzen Blick.
»Mesiel, du wirst es nicht glauben, wer gekommen ist!« sagte Mrs. Mering. »Madame Iritosky, darf ich Ihnen meinen Gatten, Colonel Mering, vorstellen?«
»Colonel Mering, danke, daß Sie uns in Ihrem Haus willkommen heißen«, sagte Madame Iritosky und neigte ihm leicht ihren Kopf mit den Hahnenfedern zu.
»Harumph«, brummte der Colonel durch seinen Schnauzbart.
»Ich erzählte dir doch, daß ich einen Geist gesehen habe, Mesiel. Madame Iritosky ist gekommen, um für uns mit ihm Kontakt aufzunehmen. Sie sagt, die Geister seien sogar jetzt mitten unter uns.«
»Seh’ keine«, grummelte der Colonel. »Kein Platz für sie in dieser verdammten Halle. Besitzen doch ein Haus, oder? Versteh’ nicht, warum wir dann alle hier mit dem Gepäck rumstehen.«
»Oh, natürlich!« Mrs. Mering schien zum ersten Mal zu bemerken, wie eng es in der Halle geworden war. »Kommen Sie, Madame Iritosky, Count de Vecchio! Gehen wir in die Bibliothek. Baine, sagen Sie Jane, daß sie Tee servieren soll, und bringen Sie das Gepäck unserer Gäste auf ihre Zimmer.«
»Das Kabinett auch, Madame?« fragte Baine.
»Das…« Mrs. Mering stoppte und schaute überrascht auf den Berg Gepäckstücke. »Meine Güte, wieviel Gepäck! Wollen Sie verreisen, Madame Iritosky?«
Madame Iritosky und Count de Vecchio wechselten wieder einen raschen Blick. »Wer kann das wissen?« sagte sie dann. »Wenn die Geister befehlen, gehorche ich.«
»Oh, ja, natürlich«, sagte Mrs. Mering. »Nein, Baine, Madame Iritosky braucht das Kabinett für die Seance. Stellen Sie es ins Wohnzimmer.«
Ich fragte mich, wo, um alles in der Welt, es dort Platz finden sollte, bei all den Ottomanen, Kaminschirmen und Aspidistrapflanzen.
»Und tragen Sie das übrige Gepäck hoch«, fuhr Mrs. Mering fort, »und packen Sie es aus.«
»Nein«, sagte Madame Iritosky scharf. »Ich packe meine Sachen lieber selbst aus. Es ist besser für die seelischen Kraftströme.«
»Natürlich«, erwiderte Mrs. Mering, die wahrscheinlich genauso wenig wie wir anderen begriff, wovon Madame Iritosky eigentlich sprach. »Nach dem Tee würde ich Sie gern zu dem Platz führen, wo ich den Geist zum ersten Mal sah.«
»Nein«, protestierte Madame Iritosky. »Meine Kräfte sind durch die lange Reise ziemlich erschöpft. Eisenbahnen!« Sie schauderte. »Nach dem Tee muß ich mich ausruhen. Morgen dürfen Sie mir gern das ganze Haus und Grundstück zeigen.«
»Natürlich.« Mrs. Merings Stimme klang enttäuscht.
»Wir werden Muchings End genauestens inspizieren«, versicherte Madame Iritosky. »Man merkt hier ganz deutlich die Anwesenheit eines Geistes. Wir werden Verbindung mit ihm aufnehmen.«
»Was für ein Spaß!« sagte Tossie. »Wird er sich zeigen?«
»Möglicherweise.« Madame Iritosky legte erneut ihre Hand an die Stirn.
»Sie müssen sehr erschöpft sein, Madame Iritosky.« Mrs. Mering führte sie und Count de Vecchio in die Bibliothek. »Sie müssen sich unbedingt setzen. Der Tee kommt gleich.«
»Warum hast du mir nichts von diesem Count de Wanzo erzählt?« fragte Terence Tossie verstimmt, als wir folgten.
»De Vecchio«,
Weitere Kostenlose Bücher