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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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und der verhängnisvollen Fehler, die zum Desaster von Waterloo führten. Es war der Tag, an dem Napoleon den Fehler beging, General Ney die Einnahme von Quatre Bas zu übertragen. Ein schicksalhafter Tag.«
    »Für uns auch, wenn es uns nicht gelingt, Tossie nach Coventry zu bringen«, murmelte Verity. »Also, wir gehen so vor: Sie bewegen den Tisch ein- oder zweimal, worauf Madame Iritosky fragen wird, ob ein Geist anwesend ist, und ich klopfe einmal für Ja. Dann wird sie mich fragen, ob ich für jemanden eine Nachricht habe, und ich werde sie buchstabieren.«
    »Buchstabieren?«
    »Durch Klopfen. Das Medium sagt das Alphabet, und der Geist klopft bei dem entsprechenden Buchstaben.«
    »Hört sich ziemlich zeitaufwendig an«, sagte ich. »Ich dachte, auf der Anderen Seite seien sie allwissend. Da könnte man doch annehmen, sie besäßen ein effizienteres System, Botschaften zu übermitteln.«
    »Haben sie auch, nämlich das Ouijabrett. Das wurde aber erst 1891 eingeführt. Wir müssen uns eben so behelfen.«
    »Wie bringen Sie es fertig, zu klopfen?«
    »Ich habe die Hälften der Veilchenschachtel an je ein Strumpfband von mir genäht. Wenn ich die Knie zusammenschlage, ergibt es ein hübsches hohles Klopfen. Ich habe es in meinem Zimmer ausprobiert.«
    »Wie verhindern Sie, daß Sie unwillkürlich klopfen?« fragte ich und schaute auf ihren Rock. »Zum Beispiel während des Abendessens?«
    »Ganz einfach. Das eine Strumpfband sitzt höher als das andere. Ich ziehe beide auf gleiche Höhe, wenn wir uns an den Seance-Tisch setzen. Sie müssen dafür sorgen, daß Madame Iritosky nicht klopfen kann.«
    »Hat sie auch eine Veilchenschachtel?«
    »Nein. Sie macht es mit den Füßen. Sie knackt mit den Zehen wie die Schwestern Fox. Wenn Sie Ihr Bein gegen das ihre pressen, spüren Sie jede Bewegung. Ich glaube, sie wird es gar nicht versuchen, zumindest nicht, bis ich nicht ›GEHT NACH COVENTRY‹ geklopft habe.«
    »Sind Sie sicher, daß das klappt?«
    »Bei Miss Climpson hat es geklappt«, sagte sie. »Außerdem muß es klappen. Sie haben gehört, was Finch gesagt hat. In Tossies Tagebuch steht, sie ging am fünfzehnten nach Coventry, also muß sie gehen. Und wir müssen sie dazu bringen. Also muß die Seance erfolgreich sein.«
    »Das ergibt keinen Sinn«, sagte ich.
    »Wir sind hier im victorianischen Zeitalter«, sagte Verity. »Hier wird von Frauen nicht erwartet, Sinnvolles zu sagen.« Sie hakte ihren Arm unter meinen. »Da kommen Madame Iritosky und Count de Vecchio. Wollen wir hineingehen?«
    Wir gingen zum Abendessen, das aus gegrillter Seezunge, Lammbraten und Meinungen, wie Napoleon es hätte besser machen können, bestand.
    »Hätte niemals die Nacht in Fleurus verbringen dürfen«, sagte Colonel Mering. »Wäre er nach Quatre Bas gezogen, hätte die Schlacht vierundzwanzig Stunden früher begonnen und Wellington und Blüchers Armeen hätten sich nicht vereinen können.«
    »Papperlapapp!« entgegnete Professor Peddick. »Er hätte warten sollen, bis der Boden nach dem Regen wieder getrocknet war. Er hätte seine Armee niemals durch den Schlamm jagen sollen.«
    Es war grob unfair. Schließlich hatten die beiden ja den Vorteil, zu wissen, wie die Sache ausging, während Napoleon, Verity und ich uns auf eine Handvoll Kommuniques vom Schlachtfeld und ein wasserdurchtränktes Tagebuch beschränken mußten.
    »Humbug!« sagte Colonel Mering. »Sollten früher an diesem Tag angegriffen und Ligny genommen haben. Hätte dann niemals ein Waterloo gegeben.«
    »Sie müssen ziemlich viele Kämpfe gesehen haben, Colonel, als Sie in Indien waren«, mischte sich Madame Iritosky ein. »Und auch viele legendäre Schätze. Haben Sie einen davon nach Hause mitgebracht? Den Smaragd eines Radschahs zum Beispiel? Oder einen verbotenen Mondstein aus dem Auge eines Götzenbildes?«
    »Was?« blubberte Colonel Mering durch seinen Schnauzbart. »Mondstein? Götzenbild?«
    »Du weißt doch, Papa«, sagte Tossie. »Der Mondstein. Das ist ein Roman.«
    »Pah! Nie davon gehört.«
    »Von Wilkie Collins«, beharrte Tossie. »Der Mondstein wurde gestohlen, und es gab einen Detektiv und Treibsand, und der Held selbst war es, obwohl er ihn stahl, ohne es zu wissen. Du mußt es einfach lesen.«
    »Sinnlos, wo du mir gerade das Ende erzählt hast«, meinte der Colonel. »Gibt auch kein Götzenbild mit Juwelen.«
    »Mesiel hat mir aber eine wunderschöne Halskette aus Rubinen mitgebracht«, sagte Mrs. Mering. »Aus Benares.«
    »Rubinen!«

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