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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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sich getäuscht zu haben, indem Sie es als scheußlich, kitschig und rührselig bezeichnet haben.«
    »Wie Sie wünschen, Miss.«
    »Nicht, wie ich wünsche«, sagte Tossie und stampfte mit dem Fuß auf. »Hören Sie auf, das zu sagen.«
    »Jawohl, Miss.«
    »Mr. St. Trewes und Reverend Doult sind Gentlemen. Wie können Sie es wagen, ihren Meinungen zu widersprechen? Sie sind nur ein einfacher Bediensteter.«
    »Jawohl, Miss«, sagte Baine erschöpft.
    »Man sollte Sie entlassen, weil Sie so unverschämt zu Ihrer Herrschaft sind.«
    Es folgte eine weitere lange Pause, und dann sagte Baine: »Alle Tagebucheintragungen und Entlassungen dieser Welt können die Wahrheit nicht verändern. Zwar widerrief Galilei unter Androhung von Folter, aber deshalb dreht sich die Sonne doch nicht um die Erde. Wenn Sie mich entlassen, bleibt die Vase immer noch gewöhnlich, ich habe immer noch recht, und Ihr Geschmack ist immer noch plebejisch, gleichgültig, was Sie in Ihr Tagebuch schreiben.«
    »Plebejisch?« wiederholte Tossie, die inzwischen puterrot im Gesicht war. »Wie können Sie so mit mir sprechen? Ihrer Herrin? Sie sind entlassen.« Sie wies zornbebend zum Haus. »Packen Sie sofort Ihre Sachen.«
    »Jawohl, Miss«, sagte Baine. »E pur si muove.«
    »Wie?« fragte Tossie, krebsrot vor Wut. »Was haben Sie gesagt?«
    »Ich sagte, nun, da Sie mich entlassen haben, bin ich nicht länger ein Mitglied der dienenden Klasse und deshalb in der Position, offen zu sprechen«, entgegnete er gelassen.
    »Sie sind in überhaupt keiner Position, um mit mir offen zu sprechen«, sagte Tossie und hob das Tagebuch wie eine Waffe. »Verschwinden Sie sofort!«
    »Ich wage es dennoch, die Wahrheit zu sagen, weil ich der Meinung bin, daß Sie es verdienen«, sagte Baine ernst. »Ich hatte gestern nur das Beste für Sie im Sinn, wie stets zuvor auch. Gott hat Sie mit großen Reichtümern gesegnet – nicht nur mit materiellem Reichtum, Position und Schönheit, sondern auch mit einem klugen Köpfchen und ausgeprägter Sensibilität, ebenso mit einem wachen Geist. Und doch vergeuden Sie diese Reichtümer mit Crocket und Organza und kitschiger Kunst. Sie haben eine Bibliothek zur Verfügung, in der Bücher der größten Denker der Vergangenheit stehen, und doch lesen Sie die törichten Romane von Charlotte Yonge und Edward Bulwer-Lytton. Angesichts der Möglichkeit, Wissenschaften zu studieren, vertrödeln Sie Ihre Zeit mit Taschentrickspielern, die Seihtücher und Leuchtfarbe tragen. Konfrontiert mit der Pracht gotischer Architektur, bewundern Sie statt dessen eine billige Imitation davon und konfrontiert mit der Wahrheit, stampfen Sie mit dem Fuß auf wie ein verwöhntes Kind und verlangen, Märchen erzählt zu bekommen.«
    Was für eine Rede! Ich erwartete, daß Tossie, kaum daß Baine geendet hatte, ihm mit dem Tagebuch eins über den Kopf geben und mit knisternden, flatternden Rüschen davonrauschen würde, aber statt dessen fragte sie: »Sind Sie wirklich der Meinung, daß ich ein kluges Köpfchen habe?«
    »Allerdings. Durch Studium und Selbstdisziplin wären Sie in der Lage, wunderbare Dinge zu vollbringen.«
    Von meiner unvorteilhaften Position mitten im Flieder aus konnte ich ihre Gesichter nicht erkennen, und ich hatte das Gefühl, es wäre wichtig, sie jetzt zu sehen. Deshalb bewegte ich mich zu einem lichteren Busch. Und prallte auf Finch. Fast ließ ich Prinzessin Arjumand fallen. Sie fiepte, und Finch jaulte.
    »Pscht«, flüsterte ich beiden zu. »Finch, haben Sie meine Nachricht bekommen, die ich bei den Chattisbournes hinterlassen habe?«
    »Nein, ich war in Oxford«, strahlte Finch, »wo, wie ich mit großer Freude sagen darf, mein Auftrag ein voller Erfolg war.«
    »Pscht«, flüsterte ich wieder. »Nicht so laut. Der Butler und Tossie haben einen Streit.«
    »Einen Streit?« Finch schürzte die Lippen. »Ein Butler streitet nie mit seinem Arbeitgeber.«
    »Nun, der hier schon«, sagte ich.
    Finch wühlte raschelnd unter den Büschen. »Ich bin froh, daß ich Sie getroffen habe«, sagte er und tauchte mit einem Korb Kohlköpfe auf. »Wo ist Miss Kindle? Ich muß mit Ihnen beiden reden.«
    »Was meinen Sie damit: ›Wo ist Miss Kindle?‹ Haben Sie nicht gesagt, Sie kämen grad aus dem Labor?«
    »So ist es«, sagte er.
    »Dann müssen Sie sie gesehen haben. Sie sprang gerade durchs Netz.«
    »Zum Labor?«
    »Natürlich zum Labor«, sagte ich. »Wie lange waren Sie dort?«
    »Anderthalb Stunden«, erwiderte Finch. »Wir besprachen

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