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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Cyril?«
    »Vielleicht ist es weggetrieben worden«, sagte ich mit einem bangen Gedanken an den Überhandknoten.
    »Sei nicht albern. Ganz offensichtlich hat es jemand gestohlen.«
    »Möglicherweise hat es Professor Peddick geholt«, schlug ich vor, aber Terence befand sich bereits halb über der Brücke.
    Als wir ihn einholten, blickte er gerade den Fluß hinunter. Weit und breit war nichts zu sehen außer einer Stockente.
    »Wer immer das Boot gestohlen hat, muß es flußaufwärts geschafft haben«, meinte er und rannte über die Brücke auf die andere Seite zur Schleuse.
    Der Schleusenwärter stand oben auf der Schleuse, damit beschäftigt, mit dem Bootshaken an den Toren herumzustochern.
    »Haben Sie unser Boot zurückgeschleust?« schrie Terence zu ihm hinüber.
    Der Schleusenwärter hob die Hand ans Ohr. »Waas?«
    »Unser Boot!« Terence hielt die Hände wie einen Trichter vor den Mund. »Ist unser Boot durch die Schleuse zurückgekommen?«
    »Waas?« rief der Schleusenwärter zurück.
    »Ist unser Boot…« – Terence zeichnete die Umrisse eines Bootes in die Luft – »durch die Schleuse…« – er machte eine weitausholende Bewegung flußaufwärts, »durch die Schleuse gekommen?« Er zeigte auf die Schleusenkammer.
    »Ob die Boote durch die Schleuse kommen?« rief der Schleusenwärter. »Natürlich kommen Boote durch die Schleuse. Wozu ist sie sonst da?«
    Ich schaute mich um, ob ich vielleicht jemanden entdeckte, der das Boot gesehen haben könnte, aber Iffley lag von jeder Menschenseele verlassen. Nicht einmal der Kirchenvorsteher zeigte sich, um ein Schild »Lautes Rufen verboten!« aufzustellen. Ich erinnerte mich, daß Tossie gesagt hatte, er tränke gerade seinen Nachmittagstee.
    »Nein! Unser Boot!« schrie Terence. Er wies auf sich und dann auf mich. »Kam es durch die Schleuse?«
    Der Schleusenwärter machte ein ungehaltenes Gesicht. »Nein, Sie können nicht ohne Boot durch die Schleuse. Was soll der Unsinn?«
    »Hören Sie! Jemand hat das Boot gestohlen, das wir gemietet haben!«
    »Geschmiedet?« Der Schleusenwärter schüttelte den Kopf. »Der nächste Schmied ist in Abingdon.«
    »Nein. Nicht geschmiedet. Gemietet!«
    »Niete?« Der Mann hob drohend den Stock. »Zu wem haben Sie eben Niete gesagt?«
    »Zu niemandem.« Terence wich zurück. »Gemietet! BOOT! MIETEN!«
    Der Schleusenwärter schüttelte abermals den Kopf. »Dazu müssen Sie zur Follybrücke. Zu Jabez, dem Bootsverleiher.«
    Cyril und ich schlenderten zur Brücke zurück, wo ich stehenblieb, mich übers Geländer beugte und versuchte, über das nachzudenken, was Verity mir erzählt hatte. Sie hatte eine Katze vorm Ertrinken gerettet, war dann mit ihr ins Netz gestiegen, und das Netz hatte sich geöffnet.
    Demnach hatte es keine Inkonsequenz gegeben, denn wäre eine entstanden, hätte sich das Netz nicht geöffnet. Genausowenig wie bei den ersten zehn Malen, als Leibowitz zurückgehen wollte, um Hitler zu ermorden. Beim elften Mal landete er in Bozeman, Montana, im Jahre 1946. Und niemandem war es je gelungen, Fords Theater, Pearl Harbour oder die Iden des März zu erreichen. Oder Coventry.
    Ich dachte, daß T. J. und Dunworthy wahrscheinlich mit ihrer Meinung über den erhöhten Schlupfverlust um Coventry herum recht hatten, und fragte mich, warum es uns nicht schon früher aufgefallen war. Coventry war offenkundig ein Krisenpunkt.
    Nicht, weil der Angriff entscheidenden Schaden angerichtet hatte. Die Bomben hatten nur Beschädigungen hervorgerufen, die Flugzeuge und Munitionsfabriken aber nicht zerstört, und drei Monate später waren sie instandgesetzt und wieder in Betrieb gewesen. Sicher, die Kathedrale war zerstört worden, was in den Vereinigten Staaten Empörung und Mitleid hervorgerufen hatte, aber selbst das war nicht von großer Bedeutung.
    Amerika hatte schon davor Großbritannien im Blitzkrieg großzügig unterstützt, und zwischen Coventry und Pearl Harbour lagen nur drei Wochen.
    Kritisch wurde die Sache durch Ultra und die Enigma-Maschine, [37] die wir aus Polen herausgeschmuggelt hatten, um damit die Codes der Nationalsozialisten zu entschlüsseln, was, wenn sie es herausgefunden hätten, den Verlauf des gesamten Krieges verändert hätte.
    Und Ultra hatte uns vor dem Angriff in Coventry gewarnt, wenn auch mehr zufällig und erst am späten Nachmittag des vierzehnten November, wodurch nur Zeit für eine versteckte Nachricht an das Militär und einige improvisierte Abwehrmaßnahmen blieb, die (weil die

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