Die Farben der Zeit
raste, um Männer zu holen, die mit ihm die Kutsche anhalten sollten, und dann, als ihm das nicht gelang, aus einer Scheune einen Karren zerrte, mit dem er die Straße blockierte.
Was, wenn ein Historiker den Karren gestohlen oder Drouet aufgelauert hätte? Wenn er den Kutscher des Königs vorher gewarnt und dieser einen anderen Weg gewählt hätte? Was, wenn ein Historiker in Versailles den Geldschein gestohlen und durch Münzen ersetzt hätte? Ludwig und Marie hätten ihre königstreue Armee erreicht, die Revolution niedergeschlagen und den gesamten Verlauf der europäischen Geschichte geändert.
Wegen eines Karren. Oder einer Katze.
»Wir müssen gleich bei der Sandfordschleuse sein«, sagte Terence fröhlich. »Dort können wir den Schleusenwärter fragen, ob er das Boot gesehen hat.«
Es dauerte wirklich nicht mehr lange, und wir hatten die Schleuse erreicht. Ich dachte, es begänne wieder eine mißverständliche unfruchtbare Diskussion, aber diesmal kam der Schleusenwärter trotz Terences lautem Rufen gar nicht erst aus seinem Häuschen. Nach ein paar Minuten gab Terence auf und sagte: »In Nuneham Courtenay werden wir sicher jemanden finden.« Damit eilte er weiter.
Ich fragte nicht einmal, wie weit entfernt Nuneham Courtenay lag, aus Angst vor der Antwort. Hinter der nächsten Flußbiegung wuchsen Weiden neben dem Treidelpfad und verbargen die Sicht. Als Cyril und ich aber die Biegung hinter uns gebracht hatten, stand Terence vor einem strohgedeckten Haus und schaute nachdenklich auf ein kleines Mädchen, das im Garten davor auf einer Schaukel saß. Es trug ein blauweiß gestreiftes Schürzenkleid, dessen Petticoats sich bauschten, und hielt eine weiße Katze im Arm, auf die es einredete.
»Liebe, süße Mieze«, sagte es. »Du schaukelst doch auch gern, stimmt’s? Ganz hoch in die blauen Lüfte?«
Die Katze reagierte nicht. Sie schlief fest.
Katzen waren in den vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts noch nicht ausgestorben gewesen, und so hatte ich einige gesehen, doch, abgesehen von diesem rußigen Blitz in der Kathedrale, keine, die wach gewesen war. Nach Veritys Meinung hatte der Sprung durchs Netz ihre Katze schläfrig gemacht, aber ich war mir nicht sicher, ob das nicht der Normalzustand dieser Tiere war. Die schwarzorange Madraskatze beim Fest zur Geburt der Heiligen Jungfrau Maria hatte während der ganzen Veranstaltung fest geschlafen, auf einer dicken gehäkelten Tagesdecke auf dem Tisch mit den Handarbeiten.
»Hör mal, was meinst du dazu?« Terence wies auf das kleine Mädchen.
Ich nickte. »Sie könnte das Boot gesehen haben. Und sie kann kaum schlimmer sein als der Schleusenwärter.«
»Nein, nein. Nicht das Kind. Ich meine die Katze.«
»Hattest du nicht gesagt, Miss Merings Katze sei schwarz?«
»Ja. Mit weißen Pfoten und einem weißen Gesicht«, sagte Terence. »Aber mit etwas schwarzer Schuhcreme an den richtigen Stellen…«
»Vergiß es«, sagte ich. »Du hast auch gesagt, daß sie ihrer Katze sehr zugetan ist.«
»Stimmt auch. Deshalb wird sie der Person, die sie findet, außerordentlich dankbar sein. Wenn wir die Schuhcreme sorgfältig verteilten, könnten wir dann nicht…«
»Nein.« Ich ging zur Schaukel hinüber. »Hast du ein Boot gesehen?«
»Ja, Sir«, erwiderte das Mädchen höflich.
»Ausgezeichnet«, sagte Terence. »Wer saß darin?«
»Worin?«
»In dem Boot.«
»Welchem Boot?« Das Mädchen streichelte die Katze. »Hier fahren viele Boote vorbei. Das ist nämlich die Themse.«
»Ein großes grünes Boot, in dem eine Menge Gepäck aufgestapelt ist«, erklärte Terence. »Hast du es gesehen?«
»Beißt er?« fragte das Mädchen Terence.
»Wer? Mr. Henry?«
»Cyril«, erwiderte ich. »Nein, er beißt nicht. Hast du ein solches Boot gesehen? Mit einem Stapel Gepäck darin?«
»Ja«, sagte sie und hob die Katze auf ihre Schulter. Diese zwinkerte nicht einmal mit den Augen. »Es fuhr dort entlang.« Sie zeigte flußabwärts.
»Das wissen wir bereits. Konntest du erkennen, wer in dem Boot saß?«
»Ja«, sagte das Mädchen und klopfte der Katze auf den Rücken, als hielte sie ein Baby auf dem Arm, das Bäuerchen machen sollte. »Arme kleine Mieze! Hast du Angst vor dem großen Hund?«
Die Katze rührte sich nicht.
»Wer saß in dem Boot?« fragte ich.
Sie ließ die Katze wieder in ihre Arme gleiten und wiegte sie hin und her. »Ein Reverend.«
»Ein Reverend? Du meinst einen Geistlichen? Einen Küster?« Ich überlegte, ob der
Weitere Kostenlose Bücher