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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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Das bunte Glas leuchtet mit jeder Minute prächtiger, während die Sonne aufgeht. Ich erkenne Heilige, die über die Blumen in der Bleiverglasung spazieren. Die heilige Genoveva hält ihre Hände aus farbigem Glas zum Gebet gefaltet. Sie trägt die Schlüssel zum Himmel, wie der heilige Petrus. Ich erinnere mich, dass ein Engel immer wieder ihre Kerze anzündet und mit kräftiger Flamme brennen lässt, nachdem der Teufel sie gelöscht hat. Das Kirchenschiff wird von Licht und Farbe überflutet.
    Ich gehe über die Steine, die die Gräber von Henry Nicholas Cuff und Catherine Pelham auf dem Gang kennzeichnen, und verlasse die Kirche. Die Steine sind neu und frisch verlegt, und die eingravierten Buchstaben sind noch nicht abgenutzt. Wie nahe die Toten uns sind, denke ich. Ich bin froh, dass die Sonne scheint.
    Und ich habe Hunger. Ich denke daran, wie ich Mrs. Blight und Mary Spurren von dem Schlüssel erzählen werde, der sich im Schloss umgedreht hat, und wie sie mich auslachen werden. Doch sie werden nicht wissen, dass ich nicht dasselbe Mädchen bin wie gestern, als ich die Kirche betreten habe. Der Salbei hat nicht gewirkt, aber alles an mir, jeder Blutstropfen, jeder Teil meines Körpers hat sich verändert, jetzt, wo ich mich an das gelbe Auripigment erinnert habe.
    Ich habe einen letzten Ausweg gefunden. Gott helfe mir, wenn ich es nehmen muss, aber ich werde es tun – meiner Familie zuliebe.
    Draußen auf der Straße spucken die Schornsteine den Rauch frisch angezündeter Feuer aus. Die Luft ist still, und der Qualm steigt in bläulichen Säulen in die Höhe. Eine Schar Mauerschwalben fliegt kreischend vorüber.
    Es ist noch früh, als ich mich dem Haus nähere und über den Hof zur Tür der Spülküche gehe. Aber ich weiß, dass Mary Spurren schon auf sein, am Feuerrost des Herds rütteln und widerwillig den Türriegel zurückschieben wird, um mich hereinzulassen. Vielleicht ist die Tür auch schon offen und der Boden nass vom Wischen.
    Das Scharren meiner Stiefel auf den Ziegeln hallt schrecklich laut über dem stillen Hof wider. Ich werfe einen besorgten Blick zu den Fenstern im oberen Stock, um zu sehen, ob Mr. Blacklock schon aufgestanden ist, aber das goldene Licht der frühen Morgensonne spiegelt sich so gleißend in den Scheiben, dass ich nicht erkennen kann, ob die Vorhänge noch zugezogen sind.
    Erleichtert stelle ich fest, dass die Hintertür halb offen ist, und schiebe mich vorsichtig hinein. Niemand ist da, weder in der Küche noch in der Spülküche. Ich suche nach Zeichen der Anwesenheit, nach Mrs. Blight. In der Küche riecht es nicht vertraut. Als meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt haben, fällt mir zunächst nichts Außergewöhnliches auf. Ein Stapel gefalteter und gelüfteter Wäsche wartet darauf, gebügelt zu werden, denn gestern war Mrs. Nott hier. Ein Bündel Rhabarber welkt vor sich hin. Dann sehe ich die Flaschen. Ein Haufen leerer Flaschen steht auf dem Tisch, und daneben liegt eine halb aufgeschnittene Schweinshaxe aus dem Fliegenschrank, die nicht abgedeckt ist. Eine große, klebrige Likörpfütze hat sich auf dem Boden ausgebreitet, daneben liegen Glasscherben von einer Flasche, die heruntergefallen ist. Ich gehe in die Spülküche, und mein Blick fällt auf ungespültes Geschirr. Und das Feuer ist aus.
    Ich lasse diese Dinge eines nach dem anderen auf mich wirken und weiß nicht, was ich davon halten soll. Dann nehme ich eine Bewegung in dem Sessel neben dem Herd wahr und beobachte verblüfft, wie Mary Spurren mit einem lauten Schnarchgeräusch aufschreckt. Sie sieht sich verwirrt um. Ihre großen, froschartigen Augen treten hervor. Sie bietet einen traurigen Anblick. Ihr großer Kopf scheint vor Schmerz noch mehr angeschwollen und fast zu schwer für ihren Hals zu sein. Sie gibt eine Art von Stöhnen von sich.
    »Bist du krank?«, frage ich vorsichtig.
    »Nicht persönlich«, nuschelt sie. »Und wo warst du letzte Nacht? Mein Hals ist so steif, dass ich mich halb tot fühle.« Sie reibt sich sachte den Nacken. »Nicht krank, aber … mir geht es auch nicht gerade gut.«
    Dann stemmt sie sich mühsam aus dem Sessel hoch und bleibt schwankend stehen. Sie riecht nach Alkohol.
    »Mary«, sage ich besorgt, »das Feuer ist aus. Mr. Blacklock ist noch nicht heruntergekommen, oder? Er wird verärgert sein, wenn er dieses Durcheinander sieht. Wenn wir gemeinsam aufräumen, ist die Küche bald wieder sauber und ordentlich!« Ich versuche, aufmunternd zu klingen, und

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