Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
den Flur. Als die Haustür zuschlägt, verdreht Mrs. Blight die Augen.
»Dieser Mann«, sagt sie nur und widmet sich wieder ihrem Teig. »Ausgesprochen unfreundlich.«
Später kramt sie Aufmerksamkeit heischend in ihrer Börse und hält eine glänzende Guinee in die Höhe, als wäre sie so etwas wie eine Herzogin. »Wir werden Rinderbraten essen«, verkündet sie würdevoll. Mary Spurren schlüpft eilig aus dem Raum. Mrs. Blight dreht sich zu mir um und sagt spöttisch: »Dann musst du wohl einkaufen gehen.«
Vielleicht geht alles an diesem Tag von dem Moment an daneben, als ich in Saul Pinnington’s Fleischerei stehe. Es ist kein Rinderbraten aus der Oberschale vorrätig, und ich muss stattdessen Schweinelende kaufen.
»Macht nichts«, sage ich, als der Metzgerjunge mir den Engpass erklären will. »Es ist schon so spät am Tag, Miss«, ruft er mir nach, als befürchtete er, ich könnte ihn in Schwierigkeiten bringen. Auf dem Rückweg wimmelt es auf den Straßen von Leuten, und ein Kutscher flucht, als ich vor sein Pferd stolpere und beinahe stürze.
»Ich hätte dich umbringen können, du blöde Ziege!«, schreit er zu mir herunter. »Kannst du nicht aufpassen?« Am liebsten würde ich wütend zurückbrüllen: »Niederkunft, Tod, Galgen, Besserungsanstalt – such dir was aus!« Aber ich beiße die Zähne zusammen und schweige. Der Lärm der Stadt wird mir manchmal zu viel, und ich ersticke fast vor Wut. Und als ich heute an St. Stephen’s Church in der Coleman Street direkt hinter Mr. Blacklocks Haus vorbeikomme, beschließe ich, kurz hineinzuschlüpfen und mir einen friedvollen Augenblick zu gönnen.
In der Vorhalle, unter der großen Schnitzarbeit mit dem Jüngsten Gericht, beschleicht mich das sonderbare Gefühl, dass mich jemand von der anderen Straßenseite aus beobachtet. Aber als ich zögere und mich umdrehe, ist niemand zu sehen.
Im Innern der Kirche herrscht Dämmerlicht. Meine Schritte hallen im Mittelgang wider. Mrs. Blights Schweinebraten in meinem Korb ist schwer. Mit einem erleichterten Seufzer lasse ich mich auf einer Bank nieder und stelle den Korb neben mir ab. Mit tiefen Zügen atme ich den Geruch nach Stein ein, als könnte er mir Kraft geben. Nur noch eine Minute, denke ich und betrachte die Kerzen, die mit gelber Flamme auf dem Altar brennen. Die Welt draußen ist weit entfernt.
Es hat den Anschein, dass ich meinem Ziel sehr nahe bin. Bald werde ich die Gelegenheit haben, Cornelius Soul dazu zu bringen, sich mit mir zu verloben. Er ist ein ehrlicher, gut aussehender, willensstarker Mann, den meine Mutter mit Stolz Schwiegersohn nennen würde. Warum nur überkommt mich jedes Mal, wenn ich das Ganze überdenke, ein heftiges Unbehagen? Gewiss wird mein Kind in den Augen der Welt von Cornelius sein – zu früh geboren und vor der Hochzeit empfangen. Man sieht mir noch nicht viel an, und schließlich hat meine Mutter immer winzige Kinder zur Welt gebracht. Auch Hester war bei der Geburt nur ein kleines Würmchen.
Werden die Leute das wirklich denken? Die Stimme in meinem Kopf gibt keine Ruhe. Cornelius wird wissen, dass es anders ist. Aber er ist ein guter Mann, sage ich mir, und vielleicht wird er es verstehen, wenn er meine Geschichte kennt. Es ist meine einzige Chance! Aber wenn es eine gute Lösung wäre, müsste ich eigentlich immer ruhiger werden, je näher sie kommt. Doch so ist es nicht – ich fürchte vielmehr, dass er mich dafür hassen wird.
Allmählich wird mir klar, dass ich mir noch einen weiteren Plan hätte zurechtlegen müssen. Einen, auf den ich zurückgreifen könnte, falls alles andere sich zerschlagen sollte.
Eine der Kerzen auf dem Altar flackert, die Flamme wird kleiner und erlischt. Es ist wie ein Einatmen, mit dem die Flamme plötzlich in die Dunkelheit gesogen wird.
Wenn es mich nicht mehr gäbe, denke ich, ausgelöscht aus dem Leben meiner Familie, wären sie unbescholten. Am besten wäre es, wenn sie nie etwas davon erfahren würden. Und in dem friedvollen Moment, auf den ich gehofft habe, fällt mir das Auripigment ein. Es enthält Arsen. Das tödliche gelbe Gift könnte der letzte Ausweg sein. Es wird da sein, wenn alles andere fehlschlägt. Aber es ist eine Sünde, sich das Leben zu nehmen!, flüstert die Stimme in mir eindringlich. Doch jetzt ist es zu spät, darüber nachzudenken. Eine Sünde führt auf direktem Wege zur nächsten, und man kann nichts dagegen tun.
Es heißt, man muss nicht viel davon schlucken.
Ich höre Schritte draußen
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