Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
erinnere mich an Mary Spurrens Bemerkung über die Nacht, in der er erst am Morgen heimgekehrt ist, und ein quälender, unerfreulicher Gedanke plagt mich. Wo ist er gewesen? Wieder zuckt ein Blitz, und dann grollt der Donner.
Draußen tobt der Sturm um das Haus und zieht mich nach und nach in einen unruhigen Schlaf.
Ich wälze mich hin und her.
Ein lautes Krachen irgendwo draußen weckt mich auf, und ich liege mit pochendem Herzen im Bett, das Gesicht tränennass. Blitz und Donner scheinen die Welt in Stücke zu reißen. Ich schluchze laut. Ein nie erlebter Wahnsinn schwärt in meinem Körper.
Ich höre, wie das Haus bebt und ächzt. Ich schließe die Augen. Ich reibe mir den schmerzenden Kopf, drehe mich um und drücke das Gesicht in die Matratze. Es ist ein Sturm mit einer schrecklichen Gewalt. Immer wieder zucken Blitze über den Himmel, Donner grollt, doch allmählich zieht das Gewitter weiter. Der Sturm schwächt sich zeitweise zwischen den Böen zu einem leichten, ungleichmäßigen Summen ab, als müsste er Atem holen.
Ich durchwate ganze Ströme von Träumen. Die Dunkelheit ist hereingebrochen, und in den Spring Gardens wimmelt es vor Menschen. Ihr Gemurmel klingt wie das Rauschen des Windes.
Kleine Traumfetzen umspülen mich.
Der Wind hat nachgelassen. Eine Glocke läutet schwach, hell wie ein Stern. Und sofort strömt die Menschenmenge aus allen Richtungen zum Galgen, ein dunkles Gewühl, das sich schwatzend auf und ab bewegt.
Es folgt eine Pause, genau abgestimmt wie ein lautloser Takt in der Musik, und dann wird der erste Hermesstab abgefeuert.
Knisternd und prasselnd zerschneidet die Flamme den schwarzen Himmel und hinterlässt einen wunden, unerträglichen Riss in meinem Inneren. Gleichzeitig näht sie im Verlöschen die Wunde mit zwei leuchtenden Feuerstrahlen wieder zu, deren sich kreuzende Schraubenlinien eine Spirale hinter sich herziehen, die schließlich am Himmel auseinanderfließt und sich auflöst.
Der Hermesstab verlangsamt seinen Flug, bis er über uns zu hängen scheint, hält inne, explodiert und verteilt sich hell strahlend über dem dunklen, wie flüssigen Himmel.
Es ist makellos.
Der Zauber, der im Feuer steckt, entweicht und fährt zischend über die Menge.
Die nach oben gewandten, beleuchteten Gesichter neigen sich dem Licht zu wie flache Kieselsteine in einem Flussbett. Die dunklen Münder stehen offen, und die Körper sind im Schatten. Sie sind winzig und sehen alle gleich aus, und die Aufregung des Spektakels macht sie ganz still. Sie sind damit zufrieden, zu stehen und zu starren und alles begierig in sich aufzunehmen. Die Erinnerung daran, was sie gerade gesehen haben, hinterlässt hinter ihren Augenlidern etwas wie eine dunkelrote Narbe, beinahe das Gegenteil von Licht.
Dann zerstreut sich die Menge in meinem Traum.
* * *
Als ich aufwache, herrscht eine tiefe, alles durchdringende Stille.
Der Wind hat sich gelegt, und nirgendwo draußen sind Geräusche zu hören. Sogar das Haus selbst ist merkwürdig still. Als ich die Treppe hinuntersteige und durch den Flur zur Küche gehe, hallt das Ticken der Uhr aus dem Studierzimmer so laut wider, als stünde sie in einem leeren Raum.
Mrs. Blight kommt spät, und sie betritt die Küche vollgefüllt mit düsteren Schreckensgeschichten aus der vergangenen Nacht. Vor Aufregung kann sie kaum sprechen, als sie die Bänder ihres Hutes löst.
»Jede Menge Turmspitzen und Wetterhähne sind von den Kirchen weggeblasen worden, und herumfliegende Ziegelsteine haben Menschen in ihren Kammern getötet, Frachtkähne auf der Themse sind untergegangen, eine Jolle voll Mehl für den Queenhithe Markt ist umgekippt …« Sie listet Unglücksfälle auf, von denen sie bereits gehört hat, während sie die neuesten ihrer schrecklichen Broschüren aus ihrem Korb hervorzieht und sich damit energisch Luft zufächelt. Ich lausche ihren Geschichten mit einer Mischung aus Grauen und Erregung. In diesem verwirrten Gemütszustand hole ich eilig meinen Umhang und schlüpfe hinaus auf die Straße, um mir selbst ein Bild von der Zerstörung zu machen. Der Traum letzte Nacht hat mich in einen Zustand von Furcht, Hoffnung und Ruhelosigkeit versetzt. Ich achte darauf, die Tür geräuschlos hinter mir zu schließen. Lange kann ich nicht fernbleiben, weil zu viel zu tun ist. Wir müssen heute die Bestellung für Ranelagh fertigstellen. Da Mr. Blacklock noch nicht erschienen ist, wird man mich nicht vermissen. Zweifellos hat ihn der Sturm die ganze Nacht
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