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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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Mr. Blacklock hat dort gesessen und nichts getan. Was kann seine Gedanken so sehr beschäftigen, dass er derart aufgewühlt wirkt?
    Mein eigener Platz an der Werkbank kommt mir von hier aus verändert vor, als gehörte er zum Leben eines anderen Menschen und nicht zu meinem. Ich sehe den letzten, unfertigen Hermesstab, dessen beide Hälften noch nicht zusammengebunden sind, in der Nähe des Fensterbrettes liegen. Wie soll ich das Mr. Blacklock erklären? Ich hoffe, er findet ihn nicht, bevor ich ihm erklären konnte, warum ich einen unvollständigen Auftrag auf den Weg gegeben habe.
    Enttäuscht steige ich von dem Eimer und schleiche über den Hof. An der Hintertür bewegt sich das Kind in mir, und ich bleibe stehen, um mir über den Bauch zu streichen. Ängstlich blicke ich hinauf zum Himmel über den Dächern, der immer schwärzer wird. Es fühlt sich an, als hätte sich die Luft um uns verdichtet, undurchlässig und dick. Irgendwo bellt ein Hund, und sein Bellen klingt merkwürdig matt. Ich spüre eine wachsende Unruhe und ziehe meinen Schal fester um mich, als gingen jähe, unbekannte Veränderungen vor sich, die ich nicht sehen kann. Die Luft knistert förmlich vor Spannung. »Seht euch vor«, pflegte meine Großmutter mit erhobenem Zeigefinger zu sagen, wenn das Wetter umschlug, »da ist was im Anzug. Denkt an meine Worte!« Und natürlich ist immer etwas geschehen, denn es gab entweder einen Hagelsturm, eine Überschwemmung oder eine plötzliche Schneeschmelze. Ich gehe zurück ins Haus, verriegle die Tür und steige hinauf in meine Kammer.
    Als ich meine Stiefel ausziehe, flackert etwas draußen vor dem Fenster wie ein Blitz in weiter Ferne. Ich schlüpfe aus meinen Röcken und ziehe die Nadeln aus meinen Haaren. Dann kämme ich mich und entwirre die Knoten, bis die Haare sich wie ein seidiger Fächer über meine Schultern ausbreiten. Ich nehme eine Strähne und fahre damit sanft über meine Lippen. Aufmerksam betrachte ich meine Haare in dem schmutzigen Spiegel und drehe und wende den Kopf, sodass sie im Kerzenschein glänzen. Ich bin ganz hübsch, denke ich zum ersten Mal in meinem Leben. Ich lächle mir im Spiegel zu, und mein Ebenbild erwidert das Lächeln. Wieder zuckt ein weißer Blitz vor dem Fenster, und diesmal höre ich ein paar Sekunden darauf ein Donnergrollen. Das Gewitter nähert sich rasch. Die Vorhänge flattern, als der Wind auffrischt, und ich schließe die Fensterflügel, damit sie nicht zuschlagen können.
    Wieder blitzt es. Und plötzlich beginnt es zu stürmen, erst stöhnend und dann kreischend, und der Regen ist da. Es ist der stärkste Regen, den ich je erlebt habe, und er prasselt gegen die Fensterscheiben. Wie aus dem Nichts ist ein heftiges Sommergewitter aufgezogen und tobt um das Haus.
    Die Kerze flackert. Trotz der Hitze zittere ich. Die Falten des Vorhangs bewegen sich vor und zurück, als sich heftige Windböen durch die Ritzen zwischen Glas und Blei pressen. Der Wind heult lärmend um das Gebäude und stürzt sich förmlich über das Dach, als wären wir das einzige Haus in der Straße und der Sturm hätte es sich als Opfer ausgewählt. Ich stelle meine Stiefel unter den Waschtisch, und auf einmal wird die Kerzenflamme, bevor ich sie auslösche, von einem Luftzug ausgeblasen.
    Der Schock der plötzlichen Dunkelheit lässt mir die Schwärze der Nacht noch schwärzer vorkommen.
    Tastend suche ich den Weg zum Bett. Der Lärm des Windes und ein merkwürdiger Geruch in der Luft verwirren mich, aber schließlich finde ich es. Ich denke an die Stürme zu Hause, die die Stechpalmen im Dickicht niedergedrückt und die Hecken wie Taue gepeitscht haben. In dem großen Sturm vor vier Jahren waren Buchen umgekippt und lagen wie trockene Holzreiser am Abhang. Buchen haben sehr flache Wurzeln, und das in jener Nacht tobende Unwetter hatte die Bäume mit Leichtigkeit umgestürzt, sodass ihre Wurzeln wie kalkige Finger in die Höhe ragten. Es war die Art von Wind, der die Fische einfach so aus den Flüssen bläst. Die Männer haben sie danach gefunden und aufgesammelt. Sie hatten tot an den Ufern gelegen, wo die widernatürlich hohen Fluten sie zurückgelassen hatten.
    Ein Blitzschlag zeigt den Raum in scharfen Umrissen.
    Ich denke an Mr. Blacklock, der abends allein und mit Verzweiflung auf dem Gesicht an seiner Werkbank sitzt und nichts tut. War es die Trauer um seine Frau? Ich lasse mich im Bett zurücksinken und lege die Hände auf den warmen Hügel meines Bauches unter dem Hemd. Ich

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