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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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ausziehe, um ins Bett zu klettern, lächle ich vor mich hin. Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben je auch nur ein einziges Stückchen Seide berührt habe. Im flackernden Kerzenschein sehe ich mich um. Mein dicker nützlicher Unterrock hängt trocken an dem Haken an der Tür. Meine anderen Habseligkeiten wirken in der Kommode am Fuß des Bettes verloren: meine Bibel, in der ein Grashalm zwischen den Seiten mit dem Johannesevangelium steckt, mein gutes Kleid, das zuvor meiner Schwester gehörte, und mein Unterzeug.
    Ich bin so müde, dass ich zu beten vergesse. Beim Einschlafen denke ich plötzlich an Lettice Talbot. Sie geht von mir fort die Straße hinunter und hat den Saum ihres feinen, gemusterten Seidenkleides über dem schmutzigen Pflaster hochgerafft. Danach träume ich die ganze Nacht über nichts mehr.

10

    Am zweiten Tag regnet es nicht mehr. Ein Streifen Wintersonne fällt durch die Flügel des hohen Fensters neben der Feuerstelle in der Küche. Beim Frühstück, das aus bitterem Tee und Brötchen besteht, spricht Mary Spurren kein Wort. Mrs. Blight klagt über den Mangel an moralischem Rückgrat unter den jungen Leuten im Allgemeinen, während sie sich reichlich gesalzene Marktbutter auftut und mit vollem Mund redet. Selbst um diese Uhrzeit riecht sie schon nach Alkohol. Als ich heute Morgen in die Küche kam, war sie gerade dabei, ihre Taschenflasche aufzufüllen. Kaum dass sie mich sah, stöpselte sie sie rasch zu und steckte sie weg.
    »Sie frönen dem Ehebruch«, sagt sie mitten in einer Geschichte über Schande und Vergeltung. »Wie ein paar scheckige brünstige Schweine.«
    Mr. Blacklock legt sein angebissenes Brot hin, schiebt jäh seinen Stuhl zurück und geht hinaus.
    »Du musst den Zweck des gleichmäßigen Zerkleinerns und die Bedeutung der richtigen Konsistenz begreifen«, sagt Mr. Blacklock, als ich ihm in die Werkstatt folge. Er zieht zwei kleine Fässer hervor, die beide dicht mit Leder verschlossen sind.
    »Das ist Mehlpulver, und hier haben wir ein noch feineres Schwarzpulver, das wir von den Schwarzpulverhändlern kaufen. Mit gröberem Schwarzpulver können wir wenig anfangen, außer manchmal für Kanonenschläge und Böller. Wenn du bloß fertiges Pulver mit einer Kelle aus dem Kübel schöpfst, lernst du nichts über seine Zusammensetzung. Das Zerreiben ist gefährlich, aber notwendig, wenn du etwas lernen sollst.«
    Er sieht auf und fixiert mich mit seinen schwarzen Augen, als wollte er mich warnen, dann zeigt er mir, wie ich eine Prise davon herausnehmen und auf der Handfläche zerreiben soll.
    »Salpeter, Holzkohle und Schwefel«, erläutert er. Das Mehlpulver ist eine pudrige Substanz, nicht ganz so schwarz wie Ruß, wie schweres dunkles Getreidemehl. Das Schwarzpulver ist grauer und grobkörnig und fühlt sich auf meiner Haut wie grobes Saatgut an. Ich schnuppere vorsichtig daran. Es riecht nach Eiern und Erde und Metall. Ich spüre eine seltsame Erregung in der Magengegend, die nicht unangenehm ist. »Was macht man damit?«, frage ich.
    Mr. Blacklock misst ein bisschen Pulver ab und gibt es in eine kleine offene Schale. Er bedeutet mir, ihm aus der Hintertür in den Hof zu folgen, wo er die Schale auf eine niedrige Backsteinmauer stellt und ein Stück gräuliche Schnur auslegt, sodass das eine Ende das Pulver in der Schale berührt und das andere Ende frei hängt. Dann geht er hinein. Oben auf dem Hausdach schnattert eine fließende Schar von Staren. Sie zwitschern im Sonnenschein und senken alle gleichzeitig neugierig ihre gefleckten, glatten Köpfe.
    Mr. Blacklock kommt mit einem brennenden Wachsstock wieder heraus.
    »Tritt zurück!«, ruft er und berührt mit dem Wachsstock das Ende der Zündschnur. Im Nu brennt die Schnur zischend ab, und die Flamme nähert sich der Schale. Ein erstaunlicher Knall erschüttert die Welt um uns herum. Eine dicke bläuliche Rauchwolke ist in die Höhe geschossen und treibt seitwärts über den Hof. Ich presse mir die Hände auf die klingenden Ohren. Ich bin nicht sicher, ob ich das laute Geräusch selbst gehört oder das Licht gesehen habe, das in einer Weise explodierte, dass es das Geräusch zu erzeugen schien. Mein Herz schlägt schnell. Der Geruch des Rauches ist sehr stark.
    »Das macht man mit Schwarzpulver«, sagt Mr. Blacklock trocken. »Es ist wie eine gewaltige Bestie. Behandle es mit Respekt, und du wirst feststellen, dass du viel erreichen kannst.« Sein dunkles Gesicht ist lebendig gerötet, wie das eines Mannes, der

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