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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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Küchentisch, als wäre er federleicht.
    »Ach übrigens«, fügt sie hinzu. »Es gibt eine andere Sache, die ich nicht dulde, und das ist Diebstahl. Hast du mich verstanden?«
    »Natürlich«, antworte ich kleinlaut.
    * * *
    Es regnet den ganzen Nachmittag. Während ich die Werkzeuge öle, werfe ich, wie mir aufgetragen wurde, ab und zu einen Blick zu Mr. Blacklock hinüber, um zu sehen, was er macht. Schweigend beugt er seinen langen, kräftigen Rücken über seine Arbeit. Ich habe noch nie einen Mann aus Osteuropa gesehen, aber ich stelle mir vor, dass er so aussehen könnte: groß und hager, wie ein Jäger. Ich merke, dass ich mich sicherer fühle, wenn er mich nicht ansieht. Sein Blick ist scharf und ruht zu lange auf mir.
    Es ist kühl in der Werkstatt, und die Kälte nimmt zu, je näher der Abend rückt. Der schmutzige Junge Joe Thomazin bringt eine angezündete Lampe in das Halbdunkel. Mr. Blacklock spürt die Zugluft anscheinend überhaupt nicht, aber als ich meine Finger aneinanderreibe, um die Steifheit zu vertreiben, sieht er auf.
    »Du kannst ab und zu zum Ofen gehen, um dich aufzuwärmen, aber du darfst am Feuer deine Schürze nicht tragen. Es könnte sein, dass sich brennbare Stoffe darauf befinden. Und du musst vorher deine Ärmel abklopfen, damit keine Chemikalien daran haften. Schüttle nie eine Substanz mit zu schnellen Bewegungen von dir ab. Durch solche kleinen Fehler ist es schon zu Explosionen gekommen, die ganze Werkstätten zerstört haben.«
    Als ich an ihm vorbeigehe, scheint ihm etwas einzufallen, denn er bückt sich plötzlich. »Lass mich deine Schuhsohlen sehen!«, knurrt er. Gehorsam hebe ich den Fuß und zeige ihm im gelben Lampenlicht die Schuhsohle. Ich schäme mich für die Löcher und die Flicken. »Zu viele Nägel!«, sagt er zu meiner Überraschung, sodass ich den Fuß nicht sofort sinken lasse, sondern stattdessen die Nagelköpfe betrachte, die in dem löchrigen Leder aufblitzen. Die Stiefel hatten Ann gehört, bevor ich sie bekam. Sie sind so oft geflickt worden, dass von dem ursprünglichen Material kaum noch etwas übrig ist.
    Er wendet sich wieder seinem Werktisch zu. »Aber du kannst schließlich nicht auf Strümpfen arbeiten, und deshalb musst du die Stiefel weitertragen, bis du dir neue leisten kannst. Der Schuhmacher in der Aldersgate Street wird die Nägel so tief versenken, dass sie keine Funken schlagen können. Hier auf den Holzbohlen ist das Risiko nicht groß, aber drüben im Nebengebäude ist der Boden aus Ziegeln.« Er hustet kurz und trocken. »Daher wirst du bis dahin vorsichtig auftreten. In diesem Geschäft muss man sich daran erinnern, dass sich nicht die Frage stellt, ob ein Unfall passieren wird, sondern wann . Vergiss das nie!«
    Ich nicke ernst.
    In meinem Kopf entstehen Bilder von Feuer, Rauch und Explosionen, so heftig wie Gewehrsalven – alles durch etwas verursacht, was ich unbewusst getan habe. Ich frage mich, wie es dazu gekommen ist, dass Mr. Blacklocks Hand verstümmelt wurde, und wie er sich das Brandmal auf der Wange zugezogen hat. Ich finde nicht, dass die Narbe ihn entstellt, aber sie sieht schmerzhaft aus und löst Unbehagen aus, wenn man sie betrachtet. Ich halte meine Hände über den Ofen und denke an den Tag, an dem ich in einem Paar neuer Schuhe nach Hause kommen werde, die vor mir noch nie jemand getragen hat. Ein Tag, der es wert ist, auf ihn zu warten, falls er denn jemals kommen sollte. Joe Thomazin, dessen spitze Ellbogen durch seine Jacke zu erkennen sind, starrt mich ausdruckslos an, bis ich mich abwende. Als ich zu meinem Arbeitsplatz zurückgehe, achte ich darauf, meine Füße nur leicht aufzusetzen. Dann sehe ich Mr. Blacklock zu, wie er etwas zu Blöcken zusammenbindet, das wie leere Röhren aussieht, bis irgendwo eine Kirchturmuhr sechs schlägt. Unser Arbeitstag ist zu Ende.
    »Falls du etwas aus Seide hast«, sagt Mr. Blacklock, während er die schwere Tür hinter uns verriegelt, »darfst du es nicht tragen. Auch Seide kann Funken erzeugen.« In seiner Stimme liegt keine Spur von Humor, und als sich unsere Blicke treffen, sieht sein Gesicht im Lampenschein furchterregend aus.
    »Vergiss es nicht«, wiederholt er. »Hier drin darf es weder Seide noch offene Kerzen geben.«
    Als wir den Flur entlanggehen, um in der Küche zu Abend zu essen – es gibt kaltes Fleisch und Pudding –, breche ich darüber nicht in lautes Gelächter aus. Später aber, als ich allein in meiner dunklen, kalten Schlafkammer bin und mich

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