Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
Vom Netzwerk:
und nehme den Ladestock in die Hand. Meine Seiten schmerzen vor lauter Bücken und Schrubben. Es ist ruhig in der Werkstatt, und meine Gedanken können wandern. Als ich mit dem Schlägel auf den Ladestock schlage, macht das Ding in mir eine flatternde Bewegung, als würde es den Schlag spüren. Es muss um die Zeit sein, wo Cornelius Soul immer kommt!
    Wenn mein Plan misslingt, was für eine Art Leben hätte dieses Wesen, wenn ich es bis zum Schluss austragen würde? Ich würde sofort meine Stelle bei Blacklock verlieren. Ich stelle mir vor, wie ich durch die Straßen wandere, im Armenhaus St. Giles übernachte oder bei Seven Dials betteln gehe. Ich denke daran, wie grau und trostlos es wäre, keine Arbeit zu haben, und ein mageres, saugendes Kind an der Brust.
    Ich stelle mir seine großen Augen vor, die stumpf vor Hunger sind. Die Haut auf seinem Kopf spannt und ist so trocken wie eine Nussschale. Seine zerbrechlichen Fingerchen sind zu schwach, um sich an mir festzuhalten. Das Saugen füllt nicht seinen Mund, und vielleicht bekommt es auch nicht genug Milch.
    Und dann folgt ein qualvoller Husten mit blutigem Auswurf, der den kleinen Körper erschüttert und langsam wieder abebbt.
    Ich lege den Ladestock hin und schaukle vor und zurück, als würde das dem Ding in mir irgendwie helfen. Es wäre mein Werk, meine Schwäche, die so viel Leiden verursacht. Ich mache die Augen zu und drücke mir die Fäuste so fest gegen die Lider, bis ich Sterne und zuckende Lichter sehe. Vergessen ist bestimmt besser. Vielleicht wäre der Tod in diesem Fall für etwas so Kleines und Hilfloses warm und dunkel. Nicht sterben, denke ich, sondern einfach nicht geboren werden.
    * * *
    In dieser Nacht, nachdem ich die Kerze ausgelöscht habe, ist meine Angst zehnmal so groß. Ich höre Mäuse, die in dem Schrank unter dem Waschtisch an etwas knabbern, und kann nicht schlafen.
    Es gibt einen Ort im Norden der Stadt auf den offenen Feldern oberhalb von Gray’s Inn, wo unverheiratete Mütter ihre Kinder abgeben können. Zuerst, als Mrs. Spicer das in einem Gespräch erwähnte, habe ich Hoffnung geschöpft und vorsichtig nachgefragt, um keinen Verdacht zu erwecken.
    »Es wird erzählt, dass der Charakter der Mutter eingehend geprüft wird, damit die geordnete Atmosphäre nicht durch schlechtes Blut gestört wird«, sagte sie sofort. Ich wandte das Gesicht ab und steckte die Hand in einen Sack mit Mehl, als wollte ich die Qualität prüfen. »Es heißt, dass nur ein Kind von hundert oder mehr Kindern in diesem Hospital aufgenommen wird, aber wenn sie es werden, dann ist es gut.« Ich rieb mir den Staub von den Fingern und verließ eilig den Laden.
    Ich ging über die Holborn Bridge, bog in die Gray’s Inn Lane ein und stand vor den neuen Toren. Ich spähte hinein und passte auf, dass der Pförtner mich nicht herumlungern sah. Eine Gruppe Jungen in braunen Sergejacken lief über die Wiese. Nach einer Weile konnte ich sie nicht mehr sehen, weil mir die Tränen in die Augen gestiegen waren und nicht aufhören wollten zu fließen, und so wandte ich mich um. Ich konnte es in meinen Knochen spüren, dass das Kind, das ich trage, hier nie aufgenommen würde. Und das Risiko, darauf zu warten, ist zu groß. Ich habe keinen guten Charakter, denn schließlich habe ich Geld von einer Leiche gestohlen. Ich bin eine Verbrecherin, und sollte das nachträglich ans Licht kommen, würden sie das Kind dann hinauswerfen? Ich weiß es nicht.
    Diebin, Diebin, flüstert eine Stimme in meinem Kopf, immer wieder.
    Draußen ist ein schwacher Lichtschein zu sehen, als wäre die Mondsichel aufgetaucht, und eine leichte Brise bewegt die Vorhänge.
    Alles ist unsicher. Manchmal habe ich das Gefühl, dass in jeder Ritze Augen sind. Sie werden dahinterkommen, flüstert die Stimme eiskalt. In der Dunkelheit greife ich unter die Matratze, wo ich die Münzen nachts aufbewahre, und taste nach ihnen. Sie sind noch da, so hart wie Steine und so kalt wie der Tod.
    Es ist schon fast zu spät.
    Keine Zeit mehr, für Unentschlossenheit ist keine Zeit mehr. Mein Kopf schmerzt.
    Die ganze Nacht über wälze ich mich im Bett herum und versuche, Ruhe zu finden. Ich höre, wie Mr. Blacklock die Haustür zuwirft, als er zurückkommt. Und bevor ich endlich einschlafe, höre ich noch, wie der Wächter auf der Straße drei und dann vier Uhr ausruft.
    »Hör auf zu sein«, rate ich dem Ding in mir flüsternd und streiche mir immer wieder über den Bauch.

18

    Mr. Blacklock isst heute

Weitere Kostenlose Bücher