Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
nicht mit uns zu Mittag, sondern bleibt aus Gründen, die er uns nicht mitteilt, in der Werkstatt. Er war schon den ganzen Vormittag in einer düsteren Stimmung. Mary Spurren steht am Herd und kocht Gurken ein.
Als ich an meine Arbeit zurückkehren will, hält mich plötzlich vor der verschlossenen Tür etwas auf, und meine Hand liegt wie erstarrt auf dem Türgriff.
»Diese Mistkerle!«, schreit Mr. Blacklock. »Diese verdammten Mistkerle! Zur Hölle mit …«, und dann verebbt seine Stimme in einem unheilvollen Murmeln, und ich kann nicht mehr verstehen, was er sagt. Betroffen schrecke ich vor der Tür zurück. Ich höre seine Schritte auf zerbrochenem Glas knirschen. Ein paar Augenblicke später schlägt meine Besorgnis in die Angst um, dass er mich hier entdecken könnte, wie ich ihn in seinem einsamen Zorn belausche.
Ich schleiche vorsichtig in die Küche zurück und ziehe die Tür hinter mir zu. Der Geruch des Essigs ist erstickend. Mary Spurren wischt die Ränder der gefüllten Gurkengläser mit einem Tuch ab.
Sie wisse nicht, was seinen Wutanfall hervorgerufen haben könnte, sagt sie und legt den großen Kopf schief, als ich ihr davon erzähle. »Aber ich weiß, wie er ist. Ich weiß, dass er die Dinge stärker empfindet, als ein Mann sollte, und das schafft in ihm eine eingesperrte Heftigkeit, die rausmuss.« Sie zuckt mit den Schultern. »Geht bestimmt vorbei.«
Sie beginnt die Gläser mit Leder zu verschließen.
Erst später fällt mir ein, dass Mr. Blacklock nicht allein war. Joe Thomazin saß hinten im Raum neben dem Ofen, wie fast immer. Joe Thomazin muss John Blacklock besser verstehen als irgendjemand sonst. Er muss seine Launen, seine Gewohnheiten, seine Wünsche kennen und wissen, wann er seine Grenzen erreicht. Er ist wie sein Schatten oder Vertrauter, immer an seiner Seite, immer schweigend – er bekommt alles mit. Wenn er sprechen könnte, wie viel hätte er zu erzählen!
Ich kenne John Blacklock nicht, ich kenne ihn ganz und gar nicht.
* * *
»Es gehört sich nicht«, sagt Mrs. Blight und schüttelt den Kopf, sodass ihr Doppelkinn wackelt, »dass du in der Gesellschaft deines Arbeitgebers sorglos rumplauderst.« Sie nimmt sich einen übrig gebliebenen Hering von einem Teller und schlingt ihn hinunter. »Ich hab schon so allerhand gehört.«
»Warum denn nicht?«, frage ich unsicher. Ich denke daran, wie ich Mr. Blacklock nach seiner Frau gefragt habe, und ich bin mir sicher, dass es ihm nichts ausgemacht hat. »Was haben Sie denn gehört?«
Mrs. Blight schüttelt den Kopf und lacht. Ihr offener Mund ist voller Fisch. »Eine Frau, die sparsam mit Worten umgeht, legt auch in Haushaltsdingen gewisse Fähigkeiten an den Tag. Sie plappert nicht: Also verschwendet sie auch keine Seife oder Kerzen. Ist doch logisch.« Sie hört auf zu kauen, um sich eine Gräte zwischen den Zähnen herauszuziehen.
»Geh nicht zu weit und überschreite keine Grenzen. Das sind die Regeln. Stimmt’s, Mary?« Mary Spurrens Blick hat etwas Verschlagenes, und Mrs. Blight leckt sich Hering aus dem Mundwinkel. »Allerdings gibt es welche, für die es gut wäre, wenn sie bei Tisch ein bisschen mehr reden würden.« Ich sage nichts darauf, obwohl ich weiß, dass ihr mein Schweigen nicht behagt.
»Komische Verhältnisse sind das hier«, fährt sie fort. »Mittags sitzen wir zusammen, als wären wir eine Familie, aber das sind wir nicht. Ich fühl mich nicht wohl dabei.« Sie senkt die Stimme und bleckt die verfärbten Zähne.
»John Blacklock ist eigenbrötlerisch und verschroben«, zischt sie. »Erst gestern hab ich mit Mrs. Spicer im Laden darüber gesprochen, und sie hat mir erzählt, dass sein Licht fast immer die ganze Nacht brennt.« Sie tippt sich bedeutungsvoll an den Kopf. »Was macht er da bloß? Sie sieht es, sagt sie, wenn sie aufsteht, um sich auf den Nachttopf zu setzen oder einen Umschlag für Mr. Spicer zu holen, der immer noch sein Leiden hat.«
»Was geht sie das an?«, frage ich hitzig. »Das ist seine eigene Angelegenheit, wie spät auch immer es sein mag.«
Mary Spurren sieht auf.
»Müssen diese Chemikalien sein«, fährt Mrs. Blight fort. »Seit ich hergekommen bin, hab ich immer gesagt, dass man sich davor in Acht nehmen sollte, sie sind nicht gesund. Man braucht sich nur seine Fingerspitzen ansehen, um das zu wissen. Und Gott weiß, was sie in ihm drin anrichten – wie er morgens immer hustet!« Plötzlich wirft sie einen Blick auf meine Fingerspitzen. »Du meine Güte,
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